Vorwärts ins Mittelalter

APA13791768 - 21072013 - SALZBURG - ÖSTERREICH: APA13690804-2 - 13072013 - SALZBURG - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT KI - "Buhlschaft" Brigitte Hobmeier und Cornelius Obonya als "Jedermann" während der Fotoprobe des Schauspiels "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal am Samstag, 13. Juli, am Salzburger Domplatz. Premiere am 20.7.2013. APA-FOTO: BARBARA GINDL APA-FOTO: BARBARA GINDL
Die Salzburger "Jedermann"-Neuinszenierung begeisterte mit Straßentheater-Ästhetik.

Es ist nie eine gute Idee, wenn Regisseure glauben, gescheiter als der Text zu sein, den sie inszenieren. Ganz besonders grausam geht dies immer dann schief, wenn der Text von Shakespeare stammt. Gescheiter als Shakespeare ist niemand.

Nun ist der „Jedermann“ eindeutig nicht von Shakespeare, sondern von Hugo von Hofmannsthal, und der hat sich wiederum bei Vorlagen bedient, die bis zu mittelalterlichen Belehrungsstücken zurückgehen. Und der „Jedermann“ steht eindeutig nicht in Verdacht, übermäßig gescheit – sagen wir lieber: anspruchsvoll – zu sein. Das Urteil, das Kritiker seit Jahrzehnten äußerten (und nicht nur die, auch manche Darsteller), lautete ungefähr so: Das ist ein hölzerner, naiver, dramaturgisch mäßig interessanter Text, dessen naiv-verlogener Schluss samt Last-minute-Bekehrung kaum erträglich ist: Der eben noch so böse Jedermann heuchelt rasch ein bisschen Reue, hüpft ins Büßerhemd – und ab in den Himmel!

Die Verführung, diesen Text sogar während des Inszenierens zu belächeln und dieses Belächeln durch allerlei ironische Brechungen dem Publikum auch deutlich zu zeigen – schaut her, wir nehmen den Kram ja auch nicht ernst, aber gleich kommt eine total lustige Szene, in der der Teufel Blähungen hat! – die ist groß.

Zeitgemäß?

So etwa hat das Christian Stückl gemacht, der den Salzburger „Jedermann“ von 2002 bis 2012 betreute und generalüberholte. Und das war jetzt natürlich schrecklich unfair, denn Stückl ist ein brillanter Regisseur und hat aus der ihm vorliegenden „Jedermann“-Inszenierung das äußerste herausgeholt. Er hat eine Komödie daraus gemacht, eine Komödie mit tragischen Aspekten, er hat das Ende entkitscht (und sein Misstrauen gegenüber diesem Ende nicht verborgen). Und er hat vor allem versucht, den „Jedermann“ zeitgemäß zu machen, die Figuren und Allegorien heutigen Menschen ähnlich zu machen. Stückl hat das überaus geschickt gemacht – nur leider sah man dann ein schwaches Stück in guter Regie.

Der Engländer Julian Crouch und der Texaner Brian Mertes gingen einen völlig anderen Weg. Sie inszenierten genau das, was da ist, wenn man den Text liest: Ein uraltes, naives, ganz simples Erlösungsmärchen, das nicht als Theaterstück interessant ist, sondern als Geschichte. Als DIE Geschichte: Zuerst leben wir, und dann sterben wir, und das macht uns grauenhafte Angst, weil wir nicht wissen, was danach kommt, und weil wir nicht wissen, ob unsere Lebensbilanz vor Gott und/oder uns selbst bestehen kann.

Die Inszenierung von Crouch und Mertes kümmert sich nicht um „Aktualität“ – wozu auch, sterben ist sowieso immer aktuell. Sie zeigen mittelalterliches Straßentheater mit einfachen Mitteln (die überaus gekonnt zum Einsatz gebracht werden): Masken, Modellhäuser, simple Requisiten, außerdem Tanz, Musik aller Stilrichtungen und sogar Schattenspiel (wunderbar die Effekte auf der Dom-Fassade).

Crouch und Mertes gelingen hinreißende Bilder, die vieles andeuten: Am Ende bedeckt der Tod Jedermann mit dem Leichentuch, alle Mitspielenden streuen Erde – und dem Tod wächst ein Bäumchen aus dem Rücken. Ist das jetzt christlich oder eher naturreligiös? Ähnlich mehrdeutig Jedermanns Begegnung mit dem „Glauben“. Dieser ist ein alter Mann, der auf einem Sessel hockt. Mit Hilfe eines Seilzugs wird dieser Sessel hoch über das Portal des Doms gezogen, und der „Glaube“ „tauft“ Jedermann aus einer Waschschüssel (oder ist es ein Nachttopf?) – wobei Jedermann weniger erleuchtet aussieht, als wie ein begossener Pudel.

Ein Kind

Cornelius Obonya spielt den Jedermann wie ein Kind, das sich zuerst über sein schönes Spielzeug freut, dann hysterisch zu weinen beginnt und am Ende einen naiven Kinderglauben findet. Eine ungewöhnliche, aber starke Darstellung. Brigitte Hobmeier ist eine wunderbare, erotische, lustige Buhlschaft. Peter Lohmeyer ist großartig als gespenstisch dürrer Tod. Simon Schwarz darf als Teufel kaum blödeln. Großartig sind auch Sarah Vikoria Frick als „Gute Werke“ und Jürgen Tarrach als „Mammon“ mit Riesenpuppe.
Vom Publikum gab es stehend gespendeten Applaus.

Fazit: Großer Jubel

Stück: Der Tod will einen reichen Sünder holen, der findet im letzten Moment zu Reue und damit ein Ticket in den Himmel.

Inszenierung: Warum ist noch niemand darauf gekommen? Eine naive Geschichte wird diesmal weder durch Pathos überhöht, noch durch Ironie verkleinert, sondern mit den Mitteln der Naivität ganz poetisch und zart erzählt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Jedermann ist der zweite Teil – Bekehrung, Tod – interessanter als der erste (Tischgesellschaft und pralles Leben).

Spiel: Zum Teil großartig, zum Teil noch verbesserungswürdig.

Tipp: Am Sonntag, 28. Juli, 22 Uhr, zeigt ORF 2 den neuen Jedermann aus Salzburg.

KURIER-Wertung: ***** von *****

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