Kleine Sätze können große Folgen zeitigen: „Die Wut, die bleibt“ beginnt mit einer Katastrophe: „Haben wir kein Salz?“, sagt der Familienvater Johannes vorwurfsvoll. Seine Frau Helene steht darauf wortlos vom Essenstisch auf, geht zum Balkon und stürzt sich in die Tiefe.
Die Szene, die im Salzburger Landestheater ganz beiläufig gespielt (und später noch einmal wiederholt) wird, wirkt natürlich empörend: Wie kann eine Mutter ihre Kinder und ihre Familie im Stich lassen und in den Tod fliehen? Erst im Laufe des zwei Stunden kurzen Abends bekommt man eine Vorstellung von der Überforderung, die Helene gequält haben muss.
Dramatisierung
„Die Wut, die bleibt“ ist ein Roman der österreichischen Autorin Mareike Fallwickl. Jorinde Dröse (Regie) und Johanna Vater (Dramaturgie) haben die Bühnenfassung erstellt. Diese wurde im Salzburger Landestheater als Koproduktion mit dem Schauspiel Hannover uraufgeführt.
Familienvater Johannes erweist sich als völlig überfordert damit, Beruf und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bekommen. Also springt Helenes beste Freundin Sarah ein. Sie wird von Johannes bald als Stiefmutter, Haushaltshilfe und Putzfrau betrachtet. Helene ist als Geist weiterhin anwesend, in Gesprächen mit Sarah macht sie die Motivation für ihre Verzweiflungstat klar.
Und da ist noch Lola, die 15-jährige Tochter Helenes. Sie weigert sich strikt, ihr zugedachte Rollenmuster zu übernehmen. Zuerst absolviert sie gemeinsam mit ihrer Freundin Sunny ein Kampftraining, um sich gegen männliche Übergriffigkeit wehren zu können. Dann radikalisiert sie sich zusehends. Sie attackiert eine Turnlehrerin wegen deren „Fatshaming“. Und gemeinsam mit einer Mädchenbande schlägt sie einen Lehrer halb tot, der Schülerinnen missbraucht haben soll.
Ersatzmutter
Sarah schließlich wird in ihrer Rolle als Ersatzmutter langsam erwachsen. Am Ende wirft sie ihren Freund Leon aus ihrer Wohnung und verweigert Johannes die weitere Hilfe.
Jorinde Dröse hat einen schwungvollen, wütenden Theaterabend inszeniert, der dem Roman gerecht wird, aber als Theaterstück funktioniert. Manche Szenen – etwa die Tanzeinlagen – geraten ein wenig holprig, aber das macht fast gar nichts.
Johanna Bantzer berührt als Selbstmörderin und „Wiedergängerin“ Helene. Die Figur zeigt deutlich, welche unfassbare Belastungen die Gesellschaft den Frauen aufbürdet, vor allem in Zeiten einer Pandemie.
Stark
Anja Herden ist sehr stark als Sarah, die im Laufe der Handlung erkennt, was sie will und was nicht. Nellie Fischer-Benson spielt die vom Zorn getriebene Lola mit atemberaubender Härte. Hanh Mai Thi Tran legt die Sunny mit viel Gefühl an.
Yasmin Mowafek und Sophie Casna komplettieren die Mädchengang, welche die Männerwelt das Fürchten lehrt: „Frauen wie wir werden überall gebraucht.“
Johannes (Max Landgrebe) und Leon (Fabian Dott) sind in dieser Inszenierung reine Nebenfiguren.
Jubel
Am Ende gibt es stehend gespendeten Applaus und Jubel für einen zu Herzen gehenden Theaterabend, der viele Fragen zum Thema Geschlechtergerechtigkeit aufwirft und letztgültige Antworten konsequent verweigert. Was bleibt, ist: Die Wut.
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