Staatsoper: Das Ende einer Vernunftehe

Franz Welser-Möst ist am Freitag als Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper zurückgetreten
Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst ist am Freitag zurückgetreten.

Am 24. Jänner 2012 verlängerte die damalige Kulturministerin Claudia Schmied die Direktoren-Verträge der wichtigsten Bühnen des Landes – vermeintlich bis zum Ende des Jahrzehnts.

Doch es kam ganz anders, aus verschiedensten Gründen: Matthias Hartmann ist, nach der Finanzaffäre, nicht mehr Direktor des Burgtheaters.

Und der Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper, Franz Welser-Möst, hat sein Amt am Freitag überraschend zurückgelegt. Auch alle geplanten Dirigate der laufenden Saison – darunter gleich zwei Opern- und eine Ballettpremiere – hat Welser-Möst abgesagt.

Grund sind "Differenzen über die künstlerische Ausrichtung des Hauses", wie Welser-Möst am Freitag in jener Aussendung wissen ließ, mit der er seinen Rücktritt bekannt gab.

Am Freitagmorgen hat der Dirigent das Rücktrittsschreiben an den Direktor überreicht. Meyer hat laut dem Dirigenten dazu "nichts gesagt".

Der Rücktritt ist ein Paukenschlag, der sowohl die (finanziell belastete) Staatsoper als auch die (durch die Burgtheateraffäre durcheinandergewirbelten) Bundestheater in schwierigen Zeiten trifft. Dass aber zwischen Meyer und Welser-Möst schon länger ein Konflikt schwelte, war ein offenes Geheimnis. Das Führungsteam kannte einander vor der Bestellung durch Schmied persönlich nicht, am Tag vor der Bekanntgabe telefonierte man erstmals miteinander. Die Bestellung musste damals schnell über die Bühne gehen: Schmied brüskierte mit der Kür Meyers den damaligen Kanzler Alfred Gusenbauer, der Neil Shicoff favorisierte.

Differenzen

Danach führten Meyer und Welser-Möst eine Vernunftehe, in einigen Phasen nahe an der Zwangsehe. Zuletzt kamen Differenzen der beiden über einen Zyklus der drei Mozart/Da Ponte-Opern an der Staatsoper ans Tageslicht. Welser-Möst äußerte sich überaus kritisch über die Regie bei "Don Giovanni" und "Figaro". Die dritte Oper – "Così fan tutte" – wurde dann nicht mehr neu inszeniert, der Zyklus wurde abgebrochen.

Die Staatsopern-Tauglichkeit mancher Sänger wurde von Welser-Möst ebenso mehrfach hinterfragt.

Auch der neue Chef der Bundestheater-Holding, Günter Rhomberg, hat schon vor seinem Amtsantritt im Sommer "Kenntnis der Notwendigkeit einer Lösungsfindung" in diesem Konflikt gehabt, wie er am Freitag sagte.

Diese Lösung gab es aber nicht, am Donnerstagabend eskalierte der Streit. Obwohl es noch den Versuch eines klärenden Gespräches zwischen Meyer, Welser-Möst und Rhomberg gegeben hat: "Es war nichts mehr zu machen", sagt Rhomberg zum KURIER. "Die Entscheidung muss man akzeptieren, wir müssen mit dem leben."

Die Staatsoper war von dem Schritt sichtlich überrascht. Auf KURIER-Anfrage, ob Welser-Möst seinen Vertrag einseitig beenden kann und ob ein derartiger Rücktritt rechtlich sofort wirksam ist, hieß es: Man prüfe derzeit "die rechtliche Abwicklung der Vertragsauflösung". "Das ist natürlich ein großer Verlust", ließ Meyer in einer offiziellen Aussendung wissen. Gegenüber dem KURIER sagte Meyer, er wolle "heute nicht über Details reden. Ich möchte keinen Krieg der Vorwürfe. Meine Hauptaufgabe ist es, Spitzendirigenten für 34 Abende zu finden." Denn so oft stand Welser-Möst 2014/’15 am Plan der Staatsoper.

Vermittlungsversuche gab es am Freitag auch von Kulturminister Josef Ostermayer: Der Minister war von Welser-Mösts Vorhaben nicht vorab informiert, unternahm aber nach Bekanntwerden des Rücktritts den Versuch klärender Telefonate. Auch dies umsonst: Die Entscheidung von Welser-Möst müsse man "mit Bedauern Kenntnis nehmen".

"Diese Entscheidung ist mir sehr, sehr schwer gefallen, aber ich musste sie treffen." Dirigent Franz Welser-Möst erklärt im KURIER-Gespräch die Beweggründe für seinen Rücktritt – und dass es kein überstürzter Entschluss nach dem Eklat am Donnerstagabend war, als er mit Operndirektor Dominique Meyer und später auch mit Bundestheater-Holdingchef Günter Rhomberg Gespräche führte. Der Entschluss zu gehen "kam nicht von heute auf morgen, sondern war ein langer Prozess", sagt Welser-Möst nur wenige Stunden nach seinem Rücktritt. "So eine Entscheidung trifft man ja nicht aus dem Bauch heraus. Solche Entscheidungen trifft man nur, um sie später nicht zu bereuen."

Der Dirigent erläutert im Detail seine Beweggründe: "Ausschlaggebend waren massive Differenzen über künstlerische Positionen. Das betraf Sänger-Besetzungen, Dirigenten, aber auch die grundlegende Positionierung der Wiener Staatsoper."

Meyer

Staatsopern-Chef Meyer hingegen will keine Details in der Öffentlichkeit bereden. Er wolle "keinen Krieg der Vorwürfe", sagt er zum KURIER. Und lässt ansonsten in einer Aussendung wissen, dass er den Rücktritts-Brief von Welser-Möst "mit großem Bedauern entgegengenommen" habe. "Das ist natürlich ein großer Verlust – und auch persönlich tut mir dieser Schritt sehr leid, denn ich schätze Franz Welser-Möst als Künstler und Dirigenten sehr. Meine Sorge und erste Aufgabe ist es nun, so rasch wie möglich adäquaten Ersatz für die Aufführungen zu finden, die er 2014/2015 an der Wiener Staatsoper hätte dirigieren sollen: Immerhin 34 Vorstellungen, darunter die zwei mit ihm geplanten Premieren von ,Rigoletto‘ und ,Elektra‘."

Philharmoniker

Die Wiener Philharmoniker zeigten sich vom Rücktritt Welser-Mösts "völlig überrascht. Wir bedauern diesen Schritt außerordentlich", erklärte der neue Vorstand des Orchesters, Andreas Großbauer. "Die Entscheidung trifft die Wiener Staatsoper zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt – am Saisonbeginn. Wir versichern dem Direktor der Wiener Staatsoper, Dominique Meyer, unsere volle Solidarität und Unterstützung in dieser schwierigen Situation, damit die im Spielplan vorgesehenen Aufführungen durchgeführt werden können."

Welser-Möst betonte im KURIER-Gespräch, dass sein Rücktritt "sicher keine Entscheidung gegen die Wiener Philharmoniker" ist. "Ganz im Gegenteil. Das Einvernehmen zwischen dem Orchester und mir ist so gut wie nie zuvor. Ich denke das hat man nicht nur an der Staatsoper, sondern zuletzt auch in Salzburg beim ,Rosenkavalier‘ auch deutlich gehört. Ich bleibe Wien und den Wiener Philharmonikern als Dirigent selbstverständlich erhalten. Das Leben geht weiter."

Der Chef der Bundestheater-Holding, Günter Rhomberg, blickt in die Zukunft: "Jetzt werden wir einmal alles in Ruhe analysieren." Wer letztlich Welser-Möst nachfolgen werde, "ist die künstlerische Entscheidung des Operndirektors."

Man kommt heuer aus dem Staunen gar nicht mehr heraus: Was ist in der Kulturwelt los, fragen sich auch jene, denen die Kultur eigentlich wurscht ist. Aber derart gehäufte Negativ-Schlagzeilen gab es selten zuvor. Der Rücktritt des Generalmusikdirektors der Wiener Staatsoper ist der nächste Paukenschlag, der die Kulturwelt Österreichs trifft. Und zwar zum schlechtesten Zeitpunkt.

Für die Staatsoper ist der Zeitpunkt in mehrfacher Hinsicht ungünstig: Man steht für gleich drei Premieren ohne Dirigenten da – das ist angesichts der langen Vorlaufzeiten im Opernbereich katastrophal. Obwohl die Auslastungszahlen phänomenal sind, steht die Oper vor genau denselben finanziellen Problemen wie viele andere Bühnen. Auch künstlerisch ist der Moment heikel: Der Musikdirektor verabschiedet sich wegen künstlerischer Differenzen mit dem Direktor. Meyer muss nun noch viel stärker als bisher beweisen, ob seine künstlerische Position wirklich die richtige ist.

Auch für die Bundestheater-Holding könnte der Augenblick nicht ungünstiger sein: Die Burgtheater-Affäre hat der Holding, die eigentlich Burgtheater, Staats,- und Volksoper koordinieren und kontrollieren sollte, ordentlich zugesetzt. So sehr in der Kritik stand man noch nie – Kritik kommt von der Öffentlichkeit, vom Rechnungshof. Der langjährige Holding-Chef Georg Springer ging inmitten dieser Kritik in Pension. Günter Rhomberg soll nun bis Ende 2015 die Holding reformieren. Damit hat der Rücktritt Welser-Mösts nicht ursächlich etwas zu tun, wie Rhomberg zum KURIER sagt. Die Aufregung "macht die Sache aber natürlich auch nicht leichter."

Leicht scheint in der österreichischen Kulturwelt derzeit wahrlich nichts zu sein.

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