Burchard ist aber auch auf dem Abstellgleis. Denn, oh Zeiten, oh Sitten, die Romanwelt hat sich, wie die Echte, aus seiner Sicht ins Blöde weitergedreht. Pflegt Burchard die hohe Kunst der traditionellen Inszenierung, herrscht allüberall sonst das Regietheater.
Das was?
Es ist wahrlich kein Schaden, wenn man keine Ahnung hat, was das soll. Zum Verstehen des Romans aber ist es notwendig. Also: Bühnenfreunde diskutieren so fruchtlos wie heftig, ob Theater- und Opernwerke im klassischen Kostüm oder aber mit heutigen Ideen und Bildern, eben als „Regietheater“, auf die Bühne gebracht werden sollen. Es steht in launigen Kulturdiskussionen gut an, wenn man dazu eine Meinung hat.
Der Roman nun nimmt diesen Nischenstreit als Dreh- und Angelpunkt für eine Späte-Liebes-, Kriminal- und Abschiedsgeschichte in der Kulturkleinstadt.
Dort herrschen Abhängigkeiten und Machtverhältnisse, Günstlingswirtschaft und Kleinkrieg wie anno dazumal.
Burchards Konkurrent verunstaltet an der dortigen Mittelbühne mit seinem Diskursschmarrn die hehre Kunst. Und kriegt dafür Unterstützung vom bösartigen Kritiker, der Burchard und auch den Theaterchef wegschreiben will, um selbst Intendant spielen zu dürfen.
Dem Schreiberling legt Burchard eine auf. Und das war’s mit der Karriere.
Nach diesem ersten Akt bringt Bechtolf seine Figuren in Stellung. Burchard sucht sich eine neue Liebe, die, praktisch für den Regisseur des Buches, ausgerechnet mit dem Regietheaterhansl zusammen ist und diesem demnach ausgespannt werden kann. Es gibt, ganz klassisch, einen verschwundenen Brief und eine überraschende Entdeckung.
Auftritte haben dazu noch Italien zwischen Lebenslust und Mafiösem, Sex und die #MeToo-Affäre, das Bildungsbürgertum (lateinische Zitate im Buch werden natürlich nicht übersetzt!) und das Trauererbe der eigenen Biografie.
Das Leben, es funktioniert hier wie ein Bühnenstück, die entscheidende Finalszene überhaupt wie ein Großensemble-Bühnentableau.
Und das Buch spreizt sich so gegen die Zeit wie Burchard (der, wenn er Sex hat, ein Sternchen ins Tagebuch macht): Es tritt jeder im passenden Kostüm auf, als alter Mann und junge Frau, als Italiener und als Deutscher, für alle Theaterfans, die auch in der Literatur lieber klassisch inszeniert werden.
Sven-Eric Bechtolf: „Nichts bleibt so, wie es wird“. Haymon Verlag. 392 Seiten. 17,99 Euro.
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