Rolling Loud in Ebreichsdorf: Hip-Hop statt Pferde
Miami. Hollywood. Pattaya. Ebreichsdorf. Das sind die Austragungsorte des diesjährigen Rolling Loud Festivals, des - eigenen Angaben zufolge - größten Hip-Hop-Festivals der Welt. Warum die US-Veranstalter (Live Nation) in Europa (nach München 2023) ausgerechnet Ebreichsdorf als Austragungsort gewählt haben, ist nicht überliefert. An der Schönheit der Landschaft kann es nicht liegen. Vielleicht ist es die Nähe zum Wiener Flughafen, wo die Rap-Stars (vorrangig aus den USA) ihren Privatjet parken können.
Vielleicht ist es aber auch die Nähe zu den Pferden. Aber ein Pferd hat sich am Freitag nirgends blicken lassen: Die Koppeln im angrenzenden Pferdesportpark Magna Racino waren allesamt leer. Wohl auch besser so, weil sonst hätte man bei dem ganzen Trubel noch Vier Pfoten verständigen müssen. Vielleicht ist es aber auch ganz einfach nur der Platz, der hier genügend vorhanden ist. Und Platz braucht es, denn immerhin werden 60.000 Menschen täglich erwartet.
Anreise
Das Areal sei ein ungeschliffener Rohdiamant mit viel Potenzial, meinen die Veranstalter, die nach den Pannen beim Metallica-Konzert Anfang Juni Besserung gelobt haben. Man hatte nun ein Monat Zeit, die An- und Abreise zu verbessern. 200 Shuttlebusse verkehren dieses Mal zwischen Wien-Erdberg und dem Festivalgelände in Ebreichsdorf und sollen dazu führen, dass je ein Drittel der Besucher mit Bus, Bahn oder Pkw anreisen. Dafür musste man sich online im Vorfeld ein Travel-Ticket, einen Timeslot buchen, um die Anreise planbarer gestalten zu können.
Beim Shuttlebus-Areal in Erdberg herrscht am Freitag um 14 Uhr kein großes Gedränge. Alles entspannt - bis auf den üblichen Stau auf der Tangente.
Schon gehört?
Beim im Stau stehen kann man sich näher mit dem Line-up auseinandersetzen. Auf dem ersten Blick sagen einem rund 70 Prozent der auftretenden Künstlerinnen und Künstler erst einmal nichts. Die Zielgruppe (16 bis 25-Jährige) kennt die aber sicher alle aus TikTok.
Da wäre zum Beispiel Ski Mask the Slump God. Noch nie gehört. Aber guter Name. Weiter gehts mit Unknown T.? Nomen est omen! Flo Milli? Ist das die Rap-Version von Milli Vanilli? Nein, sondern eine gefällige US-Rapperin, die zwar angekündigt war, aber nicht angereist ist. Schade. So wie übrigens Billa Joe (hat der einen Vertrag mit dem Rewe-Konzern?).
Weiter gehts mit Osamason? Klingt nach Terror. Shirin David? Den Namen hat man schon einmal gehört. Das ist doch die, die mit Helene Fischer bei „Wetten, dass …“ „Atemlos“ gesungen und Thomas Gottschalk danach in Sachen Feminismus aufgeklärt hat. Und last but not least: Niki Minaj. Die Headlinerin des ersten Tages des Rolling Loud. Bis die "Queen of Rap" auf der Bühne stehen wird, dauert es aber noch. Stunden.
Beim Rolling Loud-Festival handelt es sich um eine 2015 von Matt Zingler und Tariq Cherif ins Leben gerufene Veranstaltung, die wie Starbucks funktioniert – es ist ein Festival-Franchise. 2019 ist das Rolling Loud erstmals nach Australien und Europa gekommen, letztes Jahr gab es die erste Ausgabe in Asien. Und nun also Österreich, Ebreichsdorf.
Die Veranstaltung läuft noch bis Sonntag. Zu den Headlinern zählen Playboi Carti und Travis Scott. Mehr Infos zum Festival, zur Anreise, zu den Karten finden Sie hier.
Die Veranstalter empfehlen allen Besucherinnen und Besuchern festes Schuhwerk, um Verletzungen zu vermeiden. Speziell am Samstag sei mit sehr hohen Temperaturen zu rechnen. "Auf Sonnenschutz und das Tragen von Kopfbedeckung sollte daher nicht vergessen werden und auch Flüssigkeit - nicht-alkoholische Getränke - sollte ausreichend zu sich genommen werden", teilte das Rote Kreuz mit. Bei Problemen wie Schwellungen nach einem Insektenstich, Kreislaufproblemen etc. solle einer der Stützpunkte aufgesucht werden. Sonnencreme ist sicherlich auch kein Fehler.
Die Zeit bis zum Auftritt von Niki Minaj lässt sich aber gut füllen. Man kann zum Beispiel über das bereits am Nachmittag gut gefüllte Festivalgelände spazieren, bei einem der Moshpits vor den beiden Bühnen mitmachen. Und dabei eine Faust kassieren.
Man kann sich aber auch dauernd selbst fotografieren (für die Follower, die man bedienen muss?) oder Shoppen gehen. Im Merchandising-Zelt hängen aber nur modisch nicht besonders herausragende Rolling-Loud-T-Shirts für 60 Euro herum. Der Festival-Pullover kostet 90 Euro. Und die wahrlich nicht schöne Trainingsjacke mehr als 100 Euro. Bezahlen kann man nur mit dem Chip am Festivalband, den man natürlich im Vorfeld (gegen Registrierung) mit Geld aufladen muss. Die Jugend von heute, ist bargeldlos unterwegs.
Bei den Preisen (0,4 Liter Bier kosten 6,80 Euro) ist das Taschengeld, der Monatslohn als Lehrling, aber auch schnell einmal weg. Da geht sich dann nur noch eine Fahrt mit dem Autodrom aus.
Bei Temperaturen von staubtrockenen 30 Grad und den nicht vorhandenen Schatten (vor den Bühnen gab es weder Baumschatten noch künstlichen Schatten) ist man mit viel Wassertrinken auch gut beraten. Und Wasser gibt es gratis.
Zum Wassertrinken animiert dann auch Pashanim. Der in Berlin lebende deutsche Rapper mit kurdischen Wurzeln lieferte mit "Airwaves" den Hit zum Corona-Sommer im Jahr 2020. Inhaltlich geht es darum, dass Pashanim immer seine Lieblingskaugummis dabeihat, gern das Trikot des französischen Fußballspielers Zinédine Zidane trägt. Diesen Hit lieferte er dann auch zwei Mal live ab: Die Subbässe dominieren, die Erde bebt. Von seinen Raps hört man wenig. Egal. Die Stimmung passt und Pashanim hat überraschend und angenehm wenig Gangster-Attitüde.
Apropos Fußball-Trikots. Diese kann man in unterschiedlichen Ausführungen bei den Besucherinnen und Besuchern bestaunen: Inter Mailand, Austria Wien, Arsenal, AS Roma, Paris St. Germain, Real Madrid - modisch gerade sehr angesagt.
Als Spanien das 1:0 gegen Deutschland schießt, macht der US-amerikanische Rapper Gunna gerade Schluss auf der Hautbühne (Loud Stage). Er rappte sich in zirka 40 Minuten durch seine Hits, die von entspannten Trap-Beats und souligen Samples getragen werden. Da man es am Festivalgelände mit dem Handy-Empfang (wegen Überlastung des Netzes) schwer hat, sah man jene, die mit Deutschland-Trikot angereist sind, noch fröhlich vor der Bühne herumspringen.
Atemlos durch die Nacht
Beim späten Ausgleich von Deutschland geht ein Jubel durch die Menge (einige hatten scheinbar doch Handy-Empfang). Deutschland steht zu diesem Zeitpunkt auch auf der Bühne: Shirin David lässt bei ihrem Auftritt keine Fotografen zu. Mit einem Bild können wir also nicht dienen. So viel kann man aber sagen: Die aktuell wohl erfolgreichste Rapperin aus Deutschland liefert mit Tänzerinnen und Tänzern das bemühte Vorprogramm für Nicki Minaj. Erstmals gab es so etwas wie eine Bühnenshow. Dass David live nicht vor Schlager halt macht, ist mutig. Es gibt also ihre Version von Helene Fischers "Atemlos durch die Nacht". Ein gefundenes Fressen für Kritiker, die ihre Hip-Hop-Glaubwürdigkeit immer wieder infrage stellen. Für diese hatte sie dann mit "Lächel doch mal" die richtige Antwort parat. Mit dem Lächeln haben sich alle Deutschland-Fans aber etwas schwer getan. Spanien ist weiter. Deutschland ist raus.
Barbies World
Der Freitag am Rolling Loud wird von Nicki Minaj beendet. Nach einer lästigen Wartezeit von einer Stunde Umbaupause lässt die die Queen of Rap dann noch rund 40 Minuten Zeit, um nach einem zirka fünf Minuten dauernden Intro, das auf riesigen LED-Wänden abgespielt wird, die Bühne zu betreten. Davor gab es aufgrund der ganzen Warterei schon vereinzelt Buh-Rufe. Als der Superstar dann endlich im Glitzer-Outfit erscheint, sind alles aber erstmal zufrieden - geblendet von der ersten wirklichen Show des Abends. Auf der Bühne gibt es nämlich hübsch anzusehende Tänzerinnen und Tänzern, die ihre Chefin umgarnen, ihr die Hand reichen, wenn sie mal ein paar Stufen runtergehen muss. Sehr höflich. Im Hintergrund sorgt ein Schlagzeuger für etwas Band-Felling - er ergänzt die aus der Konserve kommenden Bässe mit rhythmischen Elementen.
Diese Frau hat nicht nur bald 230 Millionen Instagram-Follower und verkauft Millionen von Platten, sondern kann live tatsächlich auch sehr gut rappen. Dass weiß sie natürlich selbst: "I'm the best" heißt die dazu von ihr gelieferte Nummer. Nach sechs Liedern folgt die erste Verwandlung: Ein neues Outfit muss her. Danach geht es mit "Pink Birthday" und "Feeling Myself" weiter. Zu "Cowgirl" wird der im Hip-Hop gerade sehr angesagte Cowboy-Hut getragen. Kuhglocken gibt es aber keine. Dafür wird etwas poppiger - und gefühlvoller. Die Show ist ansprechend - und Minaj scheinbar gut gelaunt.
Nach einer weiteren Pause samt Intro geht es in die "Barbie World". Zu diesem Zeitpunkt haben einige Festivalbesucher bereits genug gesehen und verlassen das Gelände, vielleicht auch deshalb, um den Stau, einer langen Warterei auf den Shuttle-Bus zu entkommen, um vor Mitternacht noch in Wien, zu Hause zu sein. Denn heute, Samstag, ist ja auch noch ein Tag. Und am Sonntag kommt noch Travis Scott.
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