Robert Seethaler: Nur wer tot ist, kennt sich aus

Robert Seethaler: Nur wer tot ist, kennt sich aus
Der neue Roman des Wieners: "Das Feld" ist ein Friedhof, auf dem man übers Leben Bescheid weiß.

Am besten sind jene Interviews, die Robert Seethaler nicht gibt.
Dann zählen die Worte mehr, die er schreibt.
„Wenn es zu viele Worte gibt,haben die Worte kein Gewicht mehr. Im Überfluss der Worte verliert jedes einzelne seinen Sinn und seine Bedeutung“ (hat er gesagt, dann hat er geschwiegen)
Antworten werden sowieso überschätzt ... aber wenn es denn  sein muss, dann  keine Antwort, nur eine Feststellung des in Berlin lebenden Wieners im KURIER, wo er einst als Bote jobbte:
„Ich irre oder laufe oder schlendere in meinen Geschichten herum, so wie ich es auch draußen mache. Ich schreibe und lebe immer einer Sehnsucht hinterher. Doch Sehnsüchte bleiben immer rätselhaft. Sobald man sich ihnen nähert oder sie sogar erfüllt, lösen sie sich auf.“

Im Roman „Das Feld“ lässt Robert Seethaler die Toten reden. Hintereinander.
Erst wenn man tot ist, kennt man sich aus ... und die Sehnsucht brennt nicht mehr, sie schmerzt nicht länger. Besser zuordnen lässt sie sich jetzt.
Sehnsucht, eine bestimmte Hand zu spüren.
Sehnsucht nach einer hässlichen alten Katze mit steifem Hinterbein.
Liebe.
Erst nach dem Ende weiß man, wie wichtig sie für einen war. Wer lebt, hat  davon  wenig Ahnung.
„Das Feld“ setzt fort, was Seethaler in „Ein ganzes Leben“ begonnen hat – das ist jener  Roman (aus  2014), von dem fast eine Million Exemplare verkauft wurden.
Obwohl es  doch „nur“  von einem einfachen Arbeiter in den Bergen handelt; und von seiner wunderbaren Gabe, nicht zu verbittern.
Jetzt treibt es Seethaler auf die Spitze und  setzt sich gewissermaßen auf den Friedhof des – fiktiven –  Ortes Paulstadt. Der Friedhof ist „das Feld“. Der Roman ist ein Feldversuch. 29 Tote werden erforscht.  Sie waren meist einfache Leute, Lehrerin, Blumenfrau, Briefträger, ein Mann, der sich  mit seinem Besen unterhält ...

Oft sind die Geschichten schwer zu ertragen. Manchmal sind sie  tröstlich, ein paar Mal sind sie heiter.
Es ist abzuraten, beim Lesen längere Pausen einzulegen. Obwohl man in dieser Zeit schimpfen könnte mit dem Autor, weil er mit so wenigen Worten große Gefühle auslöst. Aber der 51-Jährige spielt nicht mit den Lesern.
Er meint es ernst.
 Es ist deshalb abzuraten, längere Pausen einzulegen, weil man vergisst, wie sich die Schicksale kreuzen. Wie Menschen einander ihr  bisschen Leben schwer machen.
Das kürzeste Kapitel ist die Stimme von Sophie Breyer. Es ist nur ein Wort lang:
„Idioten.“
Nur beim langsamen konzentrierten Puzzeln ergibt sich: Das ist die / war die Trafikantin!
Es ist zwar schwer möglich, doch hat man Lust, Paulstadt zu basteln und die passenden Bewohner vor die Häuser zu stellen.
So einfach sich dieser Roman darstellt, schüchtern fast: ich bin ja nichts Besonderes. So schön ist dieses Netz gestrickt geworden, das über die Menschheit geworfen wird.
In den Gräbern ist viel Erfahrung versammelt. Es geht nicht ums große Wissen. Ein verstorbener Vater schickt seinem Sohn nach „oben“ die Botschaft:
„Sag: Ich liebe dich! Ich weiß, in deinen Ohren klingt es idiotisch ... Ich habe es nie gesagt. Kein einziges Mal. Und mit ziemlicher Sicherheit war das der größte Fehler von allen.“

 


Robert
Seethaler:

„Das Feld“
Hanser Berlin.
240 Seiten.
22,70 Euro.

KURIER-Wertung: *****

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