Richard III im Akademietheater: Das Böse ist ein joviales Riesenbaby
Wie genau hat man sich das Böse vorzustellen?
Als Henry Fonda zum ersten Mal am Set von „Spiel mir das Lied vom Tod“ auftauchte, hatte er seine berühmten blauen Augen hinter dunklen Kontaktlinsen versteckt. Er war bis dahin bekannt als das Antlitz des guten Amerikas. Diese blitzblauen Augen konnten doch nicht zu einem skrupellosen Bösewicht gehören, der auf kleine Kinder schießt? Doch, konnten sie. Genau das wollte Regisseur Sergio Leone, und genau das machte den blauäugigen Fonda zu einem der schlimmsten Bösewichte der Filmgeschichte.
Richard III. ist unter den unzähligen Monstern, die William Shakespeare auf Basis der Weltgeschichte, genauer gesagt des englischen Königshauses, geschaffen hat, eines der schlimmsten. Er ermordet seine Familie, inklusive unschuldiger Kinder. Er tut alles, um an die Macht zu kommen.
Nicholas Ofczarek, der den Richard bereits 2008 in Stephan Kimmings legendären, siebenstündigen „Rosenkriegen“ spielte, verkörpert diesen Schlächter in Wolfgang Menardis Inszenierung nun als innerlich zunächst fast zartes Wesen, dessen Schlechtigkeit sich leise anschleicht. Und umso mehr durch Mark und Bein geht. Das Böse lodert nicht in hohen Flammen, es schläft geduldig und heimtückisch wie eine Glut, die überraschend angreift. Sein Hinken – die körperliche Deformierung hat Shakespeare festgehalten, Richard wird als „bucklig“ beschrieben – lässt diesen großen, beleibten Mann beinahe zerbrechlich wirken.
Wie hinterhältig!
Ofczarek, einen Gutteil des Stücks mit nacktem Oberkörper, wirkt wie ein Riesenbaby, dem man die kindliche Vorfreude auf die Machtergreifung beinahe nicht übelnehmen kann. Wenn er dann endlich auf dem Thron sitzt, einem an der Wand befestigten Aufzug, drückt er mit kindischer Freude die Fernbedienung, fährt immer wieder rauf und runter, kichert und gluckst aufgeregt, als säße in einer Hochschaubahn.
Ist dieses brutale Riesenbaby vielleicht geistesgestört?
Ein Psychopath mit kindlichen Zügen?
Oder bloß verlogen und manipulativ?
Das Bühnenbild trägt seinen Teil zur Verunsicherung bei. Regisseur Menardi, der neben Schauspiel auch Architektur studiert hat, ist auch dafür verantwortlich. Er schafft hier eine dystopische Welt. Unangenehmes Neonlicht beißt sich durch den wabernden Nebel. Kotzgelbe Fliesen verleihen dem Setting eine Anstaltsatmosphäre. Die Zahnarztklinik im Alten AKH? Oder doch Steinhof?
An den Wänden lungern Hofstaat, Feinde und Verbündete herum, gekleidet zumeist in hautfarbene Unterwäsche, die an Zwangsjacken erinnert. Hin und wieder legen sie historisch anmutende Kostüme an, die Betonung liegt, kostümgeschichtlich authentisch, auf den Oberkörpern (Kostüme: Katrin Aschendorf).
Dörte Lyssewski, Dorothee Hartinger, Sarah Viktoria Frick, Katharina Lorenz und Sylvie Rohrer spielen die Wahnsinnigen. Allesamt sind sie fabelhaft. Dass man sich nicht ganz auskennt, weil jeder mehrere Rollen spielt, nimmt man hin. Der Schauwert ist trotz Verwirrung groß und man weiß ja, worum es in Shakespeares Königsdramen grundsätzlich geht. Um Machtgeilheit, Familienfehden und durchtriebene Bösewichte, die über Leichen gehen.
Ganz wie in der alten britischen Richard III-Verfilmung mit Laurence Olivier, die hier nun im Röhrenfernseher läuft. Daneben eine Hundehütte, aus der ein unheimlicher Roboterhund kommt und geht, er verleiht der Szenerie einen Hauch von grotesker Tech-Noir, düsterer Science-Fiction. Auf jeden Fall sind wir hier, im Jahr 1461, am Ende der Geschichte. Zumindest am Ende der Geschichte des seit 300 Jahren regierenden Hauses Plantagenet, dem Richard angehört.
Die riesigen Tierkadaver, die hier herumliegen – sie sind glücklicherweise aus Plastik–, sind die Zeugen der Rosenkriege, die die Yorks und die Lancasters, die beide zu den Plantagenets gehören, jahrzehntelang im Kampf um die Macht austrugen. Richard wird der letzte englische Herrscher der Plantagenets gewesen sein und auch der letzte, der auf einem Schlachtfeld fällt. Der Geist der von ihm ermordeten kleinen Kinder, seiner Neffen, möge den Feind stärken, wird ihm zuvor mitgegeben.
Man stirbt auf dieser Bühne nicht einmal. Man stirbt zwei, drei Mal. Wird erschlagen, erdrosselt, geköpft. Die, die hier metzeln, meucheln und schlachten, sind Menschen, wie man sie kennt.
Machiavellistisch, immer wieder fast joviale Töne anschlagend, kumpelhaft kommt dieser Richard daher, schlägt einem gönnerhaft auf die Schulter, bevor er einen erdolcht.
Solche Typen kennen wir.
Und auch solche, die den Aufstieg dieser Leute begleiten. Selbst zu schwach, wollen sie als Trittbrettfahrer des Bösen möglichst viel für sich rausholen. Wie Richards Gefährte Buckingham (Dörte Lyssewski), der in Richards Auftrag dessen Bruder ermorden lässt , ihm bei jeder weiteren Untat assistiert und applaudiert, bis dieser endlich zum König gekrönt wird.
Die Belohnung ist nicht die, die sich Buckingham erwartet.
Man geht, nein, nicht gemeinsam, man geht getrennt unter. Jeder stirbt für sich allein.