Dennoch sei hier, weil gleiche Chancen leider nicht überall selbstverständlich, sondern vor allem in der Klassikbranche immer noch die Ausnahme sind, erwähnt: Simone Young ist die erste Frau, die den "Ring des Nibelungen" in der bis ins Jahr 1876 zurückreichenden Geschichte der Wagner-Festspiele dirigiert. Insgesamt ist sie erst die dritte Dirigentin in Bayreuth - nach der mäßig erfolgreichen Oksana Lyniv und der famosen Nathalie Strutzmann.
Young also nun mit Wagner auch am Pult des legendären Theaters am Grünen Hügel: Dieses Debüt, das ursprünglich gar nicht vorgesehen war, weil Philippe Jordan seinen ersten Bayreuther "Ring" leiten hätte sollen, gestaltete sich triumphal. Und man lässt die Vorgeschichte am besten gleich weg und würdigt das Dirigat als das mit Abstand beste dieser 2022 entstandenen Produktion (zuvor hatten Cornelius Meister und Pietari Inkinen viel Luft nach oben).
Young ist im besten Sinne ein Vollprofi, das hört man bei "Rheingold" in jedem Moment. All ihre Erfahrung, etwa in Wien, in Hamburg, in Sydney und überall anders, schlägt sich durch. Eine solche Dirigentin will man in Bayreuth hören und nicht die Resultate irgendwelcher spekulativen Entscheidungen.
Sie ist vom Vorspiel an im positiven Sinne respektlos, erstarrt nicht in Ehrfurcht, sondern zieht ihre Sache konsequent durch. Ihre Interpretation ist höchst dramatisch, kraftvoll, temporeich, manchmal geradezu rasant (vor allem in der Nibelheim-Szene), die Zwischenspiele sind klanglich phänomenal, die Crescendi wachsen sich zu einer beeindruckenden Wucht aus, dann besticht sie wiederum mit höchster Sensibilität und farbenprächtigem Klang.
Die Musikerinnen und Musiker folgen ihr geradezu perfekt, auch die Balance mit den Stimmen passt. Ein Bayreuther Debüt so cool zu gestalten - das macht Simone Young niemand so schnell nach.
Sehr gut sind auch die meisten Sängerinnen und Sänger bei dieser Wiederaufnahme des "Ring", allen voran Olafur Sigurdarson als Alberich, der diese Partie kraftvoll, ausdrucksstark, mit enormer Präsenz sowie Spielfreude gestaltet - und so viel besser passt als ein paar Tage zuvor in die Rolle des Kurwenal in "Tristan".
Tomas Konieczny ist wieder ein starker Wotan, dem es jedoch an Wortdeutlichkeit fehlt. Die haben John Daszak als Loge, Christa Mayer als Fricka, Christina Nilsson als Freia sowie die beiden Riesen Jens-Erik Aasbo (Fasolt) und Tobias Kehrer (Fafner). Okka von der Damerau ist eine Erda mit diesmal recht starkem Vibrato, Nicholas Brownlee (Donner) und Mirko Roschkowski (Froh) lassen bezüglich Phrasierung und Intonation einige Wünsche offen, Ya-Chung Huang (Mime) und die Rheintöchter machen ihre Sache sehr solide.
Die Inszenierung des jungen Österreichers Valentin Schwarz wird von Jahr zu Jahr präziser, klarer und besser. Sein Ausgangspunkt ist, dass Wotan und Alberich Zwillingsbrüder sind, daraus entwickelt der Regisseur eine packende Familienaufstellung, bei der anstelle des Goldes aus dem Rhein ein Bub entführt wird, der sich sehr schlecht benimmt, kein Wunder bei dieser Familie. Die Götter saufen in diesem Jahr noch mehr als zuletzt. Und die Optik auf der fabelhaften und rasch wandelbaren Bühne von Andrea Cozzi erinnert an zahlreiche TV-Serien oder Kinofilme. Bei "Crooks" von Marvin Kren ging es zuletzt darum, dass eine Münze gestohlen wird. Bei Wagner ist es halt Gold bzw. ein Ring.
Valentin Schwarz zeigt, dass Oper gleichmaßen zeitgemäß und spannend sein kann wie Netflix.
Kommentare