Reinwaschung und Frivolitäten: Das waren die Salzburger Festspiele
Die Salzburger Festspiele gehen am Freitag zu Ende. Nach den letzten Premieren vom Wochenende lässt sich eine erste Bilanz ziehen. Da gab es Diskussionswürdiges, wie Placido Domingo ersten Auftritt nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung (in den USA wurde er von Auftritten ausgeladen), oder die Absage von Anna Netrebko, die für Unmut unter jenen sorgten, die sich für hunderte Euros Karten besorgt hatten, um "Donna Anna" zu sehen. War Michael Sturmingers "Jedermann" wirklich ein Klamauk?
Im Folgenden ein Überblick über Glanzleistungen und Momente, die wir nicht gebraucht hätten.
Das bot die Oper:
Es begann mit der Rettung der Welt: Der amerikanische Regisseur Peter Sellars, der schon in seiner Eröffnungsrede Maßnahmen gegen den Klimawandel gefordert hatte, zeigte in der Felsenreitschule Mozarts „Idomeneo“ als Anti-Plastikmüll-Oper und ließ beim Finale zwei polynesische Tänzer voller Pathos die Aussöhnung des Menschen mit seiner Umgebung feiern.
Und es endet am 31. August mit Teil 2 der Rettung Plácido Domingos, also dessen Reinwaschung durch intensive Bejubelung.
Was bei den Salzburger Festspielen dazwischen passierte, war zwar nicht gerade die Rettung der Opernwelt (die hätte auch niemand erwartet), publikumsmäßig aber sehr erfolgreich.
In der Rückschau fällt auf: Es ist offenkundig enorm schwierig, selbst bei den Festspielen die großen Dirigentennamen für Neuproduktionen zu bekommen (immerhin gelang es mit Valery Gergiev für „Simon Boccanegra“, allerdings hätten ein paar Proben mit ihm nicht geschadet). Bei den Sängern konzentriert sich die öffentliche Debatte leider auf ganz wenige Namen: Warum hat Anna Netrebko eine Vorstellung abgesagt, war sie tatsächlich krank? Ist es vertretbar, dass Domingo singt? Warum bekommt man Jonas Kaufmann nicht für Salzburg? Im szenischen Bereich bietet Intendant Markus Hinterhäuser nach wie vor eine enorme Bandbreite: von Regisseuren, die er und man bereits aus der Mortier-Ära kennt (Sellars, Achim Freyer) bis zu den heute zentralen Namen (Simon Stone, Barrie Kosky, Romeo Castellucci). Versuchen wir ein paar Superlative herauszugreifen.
Die beste Regie: Sie kam – abgesehen von Castelluccis „Salome“-Wiederaufnahme mit dem exzellenten Strauss-Dirigenten Franz Welser-Möst – von Kosky. Offenbachs „Orphée aux enfers“ frech, frisch, frivol – so macht Operette Spaß. Leider war die musikalische Gestaltung durch Enrique Mazzola da nur zweitrangig.
Die besten Sänger: Die waren, als Ensemble betrachtet, bei Verdis „Simon Boccanegra“ zu hören (Luca Salsi, Marina Rebeka, René Pape, Charles Castronovo). Gefeiert wurden auch Elena Stikhina (Médée) und Christopher Maltman (Oedipe). Zwei Traumstimmen (Netrebko und Anita Rachvelishvili) hörte man bei der konzertanten „Adriana Lecouvreur“. Besetzungen wie Pavel Černoch (Jason) waren nur aus optischen Gründen erklärbar.
Der beste Film: Jener von Simon Stone für „Médée“, er überlagerte aber das auf der Bühne Dargestellte.
Die beste Orchesterleistung: Die kam selbstverständlich von den Wiener Philharmonikern, wenngleich man sich darauf freuen darf, wenn 2020 wieder andere Dirigenten im Opernbereich zum Einsatz kommen. Bei den Konzerten waren sie auch diesmal auf Topniveau.
(von Gert Korentschnig)
Und so sang Domingo am Sonntag:
#MeToo Debatte hin oder her: Die stehenden Ovationen noch vor Beginn der konzertanten Aufführung von Giuseppe Verdis „Luisa Miller“ im Großen Festspielhaus für Plácido Domingo waren ein eindeutiger Sympathiebeweis des Publikums.
Und Publikumsliebling Domingo, anfänglich etwas verunsichert wirkend, genoss es sichtlich. Künstlerisch schien der Ausnahmesänger die Baritonpartie von Luisas Vater jedoch noch nicht ganz verinnerlicht zu haben, so wirkte er zu Beginn recht kurzatmig. Aber sein samtiges Timbre in der Mittellage beeindruckt immer noch. Seltsamerweise wird dieses Werk selten aufgeführt. Und dass obwohl das Ränkespiel, das auf Schillers „Kabale und Liebe“ basiert, von Salvadore Cammarano effektvoll in ein Libretto gegossen wurde und über schöne Gesangsnummern verfügt.
Die Titelpartie sang Nino Machaidze mit schillerndem, flexiblem, koloratursicherem Sopran. Piotr Beczala war ihr geliebter Rodolfo mit vokaler Potenz und sicheren Höhen.
Roberto Tagliavini als Graf Walter wirkte stimmgewaltig aber eindimensional. Yulia Matochinka sang Luisas Rivalin Federica mit fülligem, edlem Mezzo. John Releya war ein Wurm mit kraftvollem Intrigantentum.
Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung: Huw Rhys James) war homogen. Dramatisch akzentuiert aber zu laut, verstand es James Conlon am Pult, bei ausgereizter Dynamik im Mozarteumorchester Salzburg viele spannende Momente zu erzeugen. Manchmal fehlte es jedoch an Raffinement. Und zum Schluss: Stehende Ovationen!
(von Helmut Christian Mayer)
Schauspiel: Wenig Mystik auf der Bühne
Und das Theater? Theresia Walser wollte Kreon rehabilitieren, der in „Médée“ von Luigi Cherubini eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Doch „Kreons Schwester“, so der Arbeitstitel, entwickelte sich zur Polit-Satire „Die Empörten“ – und die Uraufführung enttäuschte.
Caroline Peters hält zwar als hoch energetische Bürgermeisterin „Erdbebenspalten zusammen“, sie führt gar einen Vielfrontenkrieg gegen den widerborstigen Büroleiter Pilgrim, ihren Bruder, der die Wahrheit sagen will, und die populistische Herausforderin, eine „Volksaufwieglerin“. Aber Walser weiß aus der bizarren Grundkonstellation mit einer Leiche in der Truhe nichts zu entwickeln: Es gibt bloß viel Wortgeklingel. Nur ein Satz aus dem Schlussmonolog der Bürgermeisterin hallt nach: „Worte sind die Schatten der Tat, sie werfen die Tat voraus.“
Den Beweis führte Thomas Ostermeier mit der soliden Dramatisierung des Romans „Jugend ohne Gott“ über nationalsozialistische Umerziehung, den Ödön von Horváth 1937 im österreichischen Exil geschrieben hatte: Zu Beginn tritt der dauergrübelnde Jörg Hartmann aus dem Saal auf die Bühne und schlüpft, während er die Umstände erklärt, in seine Rolle des anfänglich opportunistischen Lehrers, der schließlich doch den Mut zur Wahrheit aufbringt. Und jeder durfte darüber sinnieren, wie er sich selbst verhalten hätte.
Jugend und Gäste
Die Intention von Bettina Hering, der Schauspielchefin der Festspiele, war wohl, dem Publikum den Spiegel vorzuhalten. Als Eigenproduktion setzte sie Maxim Gorkis „Sommergäste“ an: Die Erkenntnis, sich ändern zu müssen, wird in den Wind geschlagen, die bürgerliche Gesellschaft macht weiter wie bisher – und genießt das feudale Leben in vollen Zügen. Gehungert habe man genug in der Jugend, bringt es der Ingenieur Suslow auf den Punkt. Dies gelte nicht nur für ihn, sondern für alle, schließlich sei er ein gewöhnlicher Mensch, ein Jedermann. Als Einspringer für die erkrankte Mateja Koležnik musste Evgeny Titov ein grandioses, wenngleich dominantes Bühnenbild wie auch das Ensemble übernehmen. Statt eiskalter Abrechnung gab es eine Soap-Opera mit Gesellschaftskritik, die nicht wehtat.
Noch etwas stärker in den Klamauk glitt Michael Sturmingers „Jedermann“-Inszenierung ab. Zum Publikumsliebling avancierte Neuzugang Gregor Bloéb, der Bruder von Tobias Moretti, als besonders fieser guter Gesell und als Kasperltheater-Teufel. Dass er sich den Jedermann krallt, verhindert Falck Rockstroh als Glaube: Im Duell zieht er lässig seine beiden Kruzifixe. Alle existenziellen Fragen sind damit hinweggewischt.
Liebe und Tod
Und nach nur zwei Saisonen kehrte man bei den Festspielen zurück zum klassischen Bild der Buhlschaft mit viel Sex-Appeal: Valery Tscheplanowa, die 2018 in Ulrich Rasches „Die Perser“ begeistert hatte, präsentierte sich als Chanson-Sängerin im glitzernd-weißen Hosenanzug. Liebe bis in den Tod: Das ist ihre Sache nicht. Dem Jedermann ähnlich ist Andreas Zavoczki, Liliom gerufen. Nur dass er einer anderen sozialen Schicht angehört: Nicht ein reicher Mann, sondern ein „Hutschenschleuderer“ am Rummelplatz, soll Rechenschaft ablegen. Doch der Titelheld in der „Vorstadtlegende“ von Ferenc Molnár, ein ziemlicher Sturschädel, weigert sich.
Mit seinen Taten konfrontiert wird Liliom trotzdem – in einer raffinierten Inszenierung des ungarischen Filmregisseurs Kornél Mundruczó, der die Geschichte in atemberaubenden Bühnenbildern von Monoka Pormale quasi vom Ende her erzählt. Zwei Industrieroboter sind dabei die heimlichen Stars: Sie heben mit ihren Greifarmen surrend die Requisiten auf die leere Bühne. Und der Schluss ist großes Theater, wunderbare Poesie. Wirkliches Festspielniveau: Das hatte im Schauspiel tatsächlich nur „Liliom“.
(von Thomas Trenkler)
Kommentare