Regisseurin Breth im Interview: "Ein Spiel ziemlich harscher Art"

Andrea Breth
Die Regisseurin über Harold Pinters bizarres Stück "Die Geburtstagsfeier", das als Koproduktion mit dem Burgtheater am 28. Juli bei den Salzburger Festspielen Premiere hat.

Petey und Meg, beide Mitte 60, betreiben eine biedere Frühstückspension am Meer, in der sich – als einziger Gast – Stanley einquartiert hat. Der Mann behauptet, ein talentierter Konzertpianist gewesen zu sein. Eingeladen von Petey tauchen die beiden Brandstifter, Goldberg und McCann, auf. Sie regen eine Party für Stanley an, da dieser doch Geburtstag habe. Und dann verbreiten sie Angst und Schrecken – auf subtile wie auch brutale Art.

"Die Geburtstagsfeier", das zweite Stück von Harold Pinter, war kein Erfolg: Der britische Dramatiker schaffte den Durchbruch erst zwei Jahre später, 1960, mit "Der Hausmeister". Schon recht früh, 1973, erhielt Pinter den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur; 2005, drei Jahre vor seinem Tod, wurde ihm der Nobelpreis verliehen. Viel gespielt wird Pinter hierzulande aber nicht; zuletzt, Anfang 2016, brachte Miloš Lolić im Kasino des Burgtheaters das äußerst gesellschaftskritische Stück "Party Time" (1991) heraus.

Zuvor, 2014, hatte Andrea Breth im Residenztheater von München "Der Hausmeister" herausgebracht. In der Folge beschäftigte die Regisseurin, 1952 in Rieden bei Füssen geboren, sich mit der "Geburtstagsfeier", die sie im KURIER-Interview als das "viel spannendere Stück" bezeichnet: Ihre Inszenierung, eine Koproduktion mit dem Burgtheater, hat am 28. Juli bei den Salzburger Festspielen Premiere. Den Stanley spielt Max Simonischek, als Peiniger dringen Roland Koch und Oliver Stokowski in die bürgerliche Welt ein.

KURIER: Wie kamen Sie auf Harold Pinter, der ein wenig in Vergessenheit geraten ist?

Andrea Breth: Man macht immer wieder einmal Literatur-Bestandsaufnahmen: Man liest nach vielen Jahren ein Stück und schaut, ob es mit einem etwas macht. Und ich kümmere mich, wenn ich finde, dass die Stücke eine gewisse Zeitgemäßheit haben, gerne um Autoren, die nicht mehr so oft gespielt werden. Im Falle von Pinter eben zu Unrecht. "Der Hausmeister" ist beim Publikum auf höchstes Interesse gestoßen, das war ganz enorm.

Pinter wird oft dem absurden Theater zugerechnet, aber ...

Was ihn auf höchst literarische Art und Weise beschäftigt, ist diese merkwürdige Beunruhigung. Sie taucht in allen seinen Stücken auf, sie ist nie ausdefiniert, aber immer da. Zudem behandelt Pinter sehr oft die Frage der Schuld. Interessanterweise war "Der Hausmeister" damals, 1960, ein großer Erfolg, während "Die Geburtstagsfeier" ein ziemlicher Flop war. Dabei ist "Die Geburtstagsfeier" das viel spannendere Stück. Und es ist wesentlich schwieriger zu inszenieren. Denn es ist raffiniert geschrieben! Bestimmte Sätze des ersten Aktes tauchen im zweiten in einer Variation wieder auf. Da darf man kein Wort austauschen, man würde ansonsten unweigerlich in der Sackgasse landen. Und viele Sätze wirken banal. Wenn wir nicht ganz genau arbeiten, wird die Inszenierung grottenlangweilig. Was ich natürlich nicht hoffe.

Goldberg und McCann quartieren sich in der Pension von Meg ein, um Stanley in die Mangel zu nehmen. Andauernd stellen sich beim Lesen Fragen, die nie beantwortet werden.

Ja. McCann wie auch Stanley pfeifen ein irisches Lied, "The Mountains of Morne". Sie scheinen einander zu kennen. Aber sie geben vor, sich nicht zu kennen. Sie lügen. Oder: Woher, bitte schön, wissen Goldberg und McCann, was Stanley, als sie noch gar nicht anwesend waren, gesprochen hat? Sie wissen es aber.

Vielleicht hat Petey, der Mann von Meg, im Pub geplaudert?

Das könnte sein. Und er will ihn naturgemäß loswerden. Stanley lebt schon lange als einziger Gast in der Pension, er zahlt keine Miete, und Meg gerät immer durcheinander, wenn sie ihn sieht. Sie ist Mutterersatz und möglicherweise auch Geliebte.

Goldberg und McCann haben einen Auftrag zu erfüllen: Es fallen die Worte "Organisation" und "Irland". Sie führen Stanley am nächsten Morgen, nach der Party, weg – keiner weiß wohin.

Stanley ist aber in keiner Weise ein Opfer. Er ist ein Täter. Goldberg und McCann wenden perfide Verhörmethoden an: Sie entblößen mit ihnen alle Mitbewohner, nicht nur Stanley. Denn mit ihren Antworten geben diese etwas von sich preis, was sie eigentlich verbergen wollten. Daher sind viele Anglisten zum Schluss gekommen, den ich zwar nachvollziehen kann, aber nicht teile, dass es sich bei den Beiden um eine Art alttestamentarische Doppelgottheit handelt.

Goldberg zieht die Fäden. Er stellt sich als Nat vor, in seinen Erzählungen aber wird er Simey oder Benny gerufen.

Er hat für jede Situation einen anderen Namen. Was man sagen kann: Seine Identität ist eine schwankende. Oder er ist in seiner Identität variabel.

Zur Party kommt auch eine jüngere Frau namens Lulu. Verführt sie Goldberg – oder wird sie von ihm missbraucht?

Wohl beides. Man kann diese Szene zwischen Goldberg und ihr im dritten Akt auch ein bisschen anders lesen. Aber das möchte ich nicht jetzt erzählen. Das sehen wir auf der Bühne! Deswegen machen wir ja Theater.

Interessant zudem: Einerseits bleibt vieles diffus, andererseits werden etliche konkrete Orte erwähnt, darunter Basingstoke und Maidenhead.

Stanley ist angeblich Klavierspieler und gab in Lower Edmonton ein Konzert. Das kann aber nicht so großartig gewesen sein. Denn Lower Edmonton ist ein Industrievorort von London.

Sie sind all den Hinweisen im Stücktext nachgegangen?

Ja, das muss man machen, auch beim "Hausmeister". Man darf bei Pinter nichts ununtersucht lassen. Er ist so was von gefinkelt!

Im Verhör wird die Frage gestellt: "Ist die Zahl 846 möglich oder notwendig?" Eine Chiffre?

Nein, Pinter hätte auch eine ganz andere Zahl nehmen können. Diese Frage ist eine Methode, einen anderen Menschen völlig wahnsinnig zu machen. Es kommt vor allem darauf an, diesen Satz schnell zu sagen. Das ist ein Spiel ziemlich harscher Art. Harold Pinter übt Gewalt durch Sprache aus – und nicht, wie zum Beispiel John Hopkins in "Diese Geschichte von Ihnen", mit Kraft. Sprache kann extrem gewalttätig sein. (Andrea Breth spielt die Verhörsituation:) "Warum glaubst du das?" (Sie schnippt mit den Fingern.) "Falsch!" (Sie schnippt mit den Fingern.) "Falsch!" Und so weiter. Das löst eine Verstörung aus. Und das ist eines der Motive, warum ich diesen Pinter interessant finde. Das ist eine Art von Folter, eine Sprachfolter.

Pinter hat das Stück 1957 geschrieben. Hat es daher auch einen Bezug zu den Verhörmethoden im Zweiten Weltkrieg oder im Kalten Krieg?

Ich denke, das Stück ist welthaltiger. Die Verhörmethoden gab es auch in der Inquisition. Und heute haben wir keine andere Situation. Ich möchte gar nicht wissen, was in manchen Kellern passiert.

Klingt die Übersetzung nicht ein wenig antiquiert?

Nee, ist nicht so.

Ein Ausdruck wie "Otto Normalverbraucher" ...

Ist gestrichen. Sie haben das Wort gefunden, das raus ist. Sehr gut. Aber: Die Übersetzung ist nicht schlecht, wenn Sie sie mit dem Original vergleichen. Denn Pinter ist aufgrund der Struktur des Textes und der Variationen nicht unbedingt einfach zu übersetzen. Und: Ich bilde mir ein, dass man den Text als solches nicht hören wird.

Wie meinen Sie das?

Nach meiner Inszenierung von "Emilia Galotti" kam ein Herr auf mich zu. Seine Äußerung hat mich zuerst entsetzt – und dann gefreut. Denn er fragte mich: "Von wem ist denn die Übersetzung?" Kein Witz! Ich dachte zuerst: Um Gottes Willen! Und dann dachte ich: Das ist gar nicht schlecht! Weil die Sprache von Lessing offensichtlich so heutig geklungen hat. Und daran arbeiten wir auch bei der "Geburtstagsfeier": Dass der Text nicht so klingt, wie Sie es befürchten.

Das Bühnenbild stammt, wie so oft bei Ihnen, von Martin Zehetgruber. Ein abstrakter Raum? Oder ein konkreter?

Wenn man ein bisschen merkwürdige Dinge einbauen will, die es nicht unbedingt in so einem Haus gibt, dann ist es notwendig, dass man ein relativ realistisches Bühnenbild macht. Denn sonst wird es gleich so arty-farty.

Arty-farty?

So ein bisschen pseudokünstlerisch, kunstgewerblich, auf den Kothurn gestellt.

Schauspielchefin Bettina Hering will Strategien der Macht thematisieren. Fügt sich das Stück von Pinter da ein?

Keine Ahnung. Ich habe mich nicht mit dem Spielplan auseinandergesetzt.

Während der Proben wurde Martin Reinke krank, dann auch Andrea Clausen. Wie geht man als Regisseurin damit um?

Man kann nur vorwärtsgucken. Wir haben zum Glück zwei Menschen gefunden, die eingesprungen sind, Nina Petri und Pierre Siegenthaler. Nun ist es meine Sache, ihnen zu helfen, damit wir zu einem Ergebnis kommen, das für uns okay ist.

Wird Ihre Beschäftigung mit Pinter weitergehen?

Demnächst sicher nicht. Denn das hängt auch von den Schauspielern ab.

Inwiefern?

Ich stelle mir schon die Frage: Welche Schauspieler sollten jetzt diese oder jene Rollen spielen? Oder man möchte einen Schauspieler unbedingt in einer bestimmten Rolle sehen. Warum ich zum Beispiel am Burgtheater "Don Carlos" machte, hatte sehr viel damit zu tun, dass ich einen Philipp hatte. Eben Sven-Eric Bechtolf. Und "Hamlet" kann man nicht machen, wenn man keinen Hamlet hat. Auch wenn man das Stück noch so interessant findet.

Was werden Sie daher als Nächstes inszenieren?

Im Winter für die Oper in Brüssel "Il Prigioniero" von Luigi Dallapiccola und "Das Gehege" von Wolfgang Rihm.

Ist eine neue Arbeit fürs Burgtheater fixiert?

Ja, aber es ist nicht meine Aufgabe, darüber zu sprechen.

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