Räume eines Geistersehers: Wolfgang Paalen im Belvedere
Belvedere-Chefin Stella Rollig leitet aus dem Umstand, dass ihr Haus ohnehin von Touristen aus aller Welt aufgesucht wird, die Freiheit ab, Sonderausstellungen nicht als Publikumsmagneten programmieren zu müssen. Statt Klimt in Dauerschleife soll man auch weniger beachtete Figuren der Kunstgeschichte entdecken können. So weit, so gut.
Die Frage, ob das Werk des Künstlers Wolfgang Paalen (1905–1959) tatsächlich eine Einzelschau rechtfertigt, die sich über die gesamte Raumflucht des Unteren Belvedere erstreckt, darf dennoch gestellt werden.
Denn hier wird mit allen Tricks gearbeitet, um Fläche zu füllen: Fotos aus dem Familienalbum sind zur Wandtapete vergrößert, Gemälde und Zeichnungen auch dann großzügig gehängt, wenn sie keine Meisterwerke sind. Wandfarben schaffen Struktur, wo Bilder und Wandtexte diese nicht hergeben.
Avantgardist
Dabei ist es nicht so, dass Paalen keine hochinteressante Figur wäre. 1905 als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie in Wien geboren – sein Vater hatte das Patent auf die Thermoskanne, wie auf einer ganzen Ausstellungswand erläutert wird – war sein Leben von wechselnden Wohnorten und Unternehmungen geprägt. Nach Stationen in Schlesien, Rom, München und Berlin kam er Mitte der 1920er in Frankreich zunächst mit dem Kubisten Georges Braque und später mit André Breton in Kontakt. Dieser nahm ihn 1935 in die von ihm begründete Gruppe der Surrealisten auf.
Die Avantgardebewegung hatte damals zwar auch schon elf Jahre auf dem Buckel, doch Paalen war mit den Großen des Fachs zusammen: 1938 gestaltete er etwa mit Salvador Dalí und Man Ray die „Exposition internationale du Surréalisme“ in Paris. Dort zeigte er eine Rauminstallation mit Gebüsch, Wasser und Champignons (in der Schau teilweise rekonstruiert) sowie einen mit Schwämmen beklebten Regenschirm.
Das Objekt, „Nuage articulé“ („Artikulierte Wolke“) genannt, trieft vor jenem absurden Witz, der auch andere Ikonen – man denkt an Meret Oppenheims Fell-Tasse oder Man Rays Nagel-Bügeleisen – auszeichnet.
Zur surrealistischen Praxis, zufällige Spuren – die man als Ausdrucksformen des Unbewussten deutete – zum Ausgangspunkt von Bildern zu machen, steuerte Paalen die sogenannte „Fumage“ bei: Der Ruß von Kerzen verwandelte sich bei ihm in „verbotene Landschaften“ und andere fantastische Ansichten, den Bildern eines Max Ernst nicht unähnlich.
Van Gogh auf LSD
Paalen blieb allerdings kein Surrealist. 1939 emigrierte er auf Einladung von Frida Kahlo nach Mexiko – aber über einen Umweg nach Kanada, wo er die Kunst indigener Nordamerikaner studierte und sammelte.Die Idee vom Kunstwerk als Totem – von einem belebten, sprechenden Gegenüber – sollte das weitere Schaffen Paalens ebenso prägen wie sein Interesse an der Quantenphysik und an Albert Einsteins Theorien.
Wenn das abgedreht klingt, dann wahrscheinlich, weil es so ist: Die Gemälde der 1940er-Jahre mit ihren dynamischen Farbstrudeln und stakkatoartigen Zeichen wurden von einer Kuratorin des Getty Museums als „Van Gogh auf LSD“ treffend beschrieben. Wirklich gute Bilder sind es nicht – anders als viele Werke der großen US-Amerikaner Barnett Newman, Arshile Gorky oder Robert Motherwell, die Paalens Impulse teils fortführten.
Details dieser Querverbindungen sowie eine weitere Wirkungsgeschichte Paalens bleibt die Schau leider schuldig. An zu wenig Ausstellungsplatz kann es nicht gelegen haben.
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