Premiere von "Orest" an der Wiener Staatsoper: Schuld und Bühne

Premiere von "Orest" an der Wiener Staatsoper: Schuld und Bühne
Nachtkritik: Am Sonntag kam Manfred Trojahns „Orest“ zur positiv aufgenommenen Premiere.

Es beginnt mit einem Schrei – und großem Anspruch: Man hört in Manfred Trojahns zeitgenössischer Oper „Orest“ zuallererst Klytämnestras Todesschrei, der uns als albtraumhafte Erinnerung begegnet – und als Zitat, als Anknüpfungsmoment an Richard Strauss’ „Elektra“. Denn „Orest“ erzählt das, was in der antiken Sagenwelt nach der Strauss-Oper passiert: Orest hat seine Mutter umgebracht, und er ist, wenig überraschend, danach ein wahnsinnsnahes Wrack. Aber des Mordens ist vorerst kein Ende: Apollo nötigt ihn, auch Helena – ja, die Helena – umzubringen.

Premiere von "Orest" an der Wiener Staatsoper: Schuld und Bühne

Trojahns Werk ist, für die gemeinhin kargen Verhältnisse der zeitgenössischen Opernproduktion, ein Hit: Seit der Uraufführung 2011 in Amsterdam wurde „Orest“ vielfach neu inszeniert, das ist durchaus außergewöhnlich. In der Staatsoper nun lernte man, warum: Der deutsche Komponist dreht hier den Emotionsregler ganz nach oben. In überaus babysitterkostenfreundlichen 75 Minuten rekapituliert er den Wahnsinn des Menschseins: Es sind so viele gestorben, heißt es, und es ist immer noch dunkel in der Welt. Es geht um Schuld und die Brutalität der Götter (und der Reichen und der Schönen) gegenüber den Menschen.

Das Werk zeichnet den Täter-Opfer-Höllenkreis nach, der die Menschheits- und auch die Operngeschichte prägte: Tat, Rache, Urteil, singt Hermione (intensiv: Audrey Luna), Tat, Rache, Urteil, Tat, Rache, Urteil. Und das zu zeitgenössischer Musik, vor der man sich nicht fürchten muss: Sie ist themengerecht unbequem, stellt sich aber auf die Seite des Hörers und nicht gegen ihn.

Und vor allem nicht gegen die Sänger: Michael Boder am Pult ließ ihnen viel Raum.

Den hatte auch Regisseur Marco Arturo Marelli – doch was damit anfangen?

Man ist in einem Inneren, einem geschwungenen Bogen mit Türen, die aber keinen Ausweg bieten: Von außen kommt durch diese Wahnsinnsschrecken, nach Innen geht es nicht weiter.

Premiere von "Orest" an der Wiener Staatsoper: Schuld und Bühne

Das war es aber dann auch schon: Marelli lässt die Sänger brav nach vorne singen, streut eine kurze, wunderliche Actionszene und eine noch wunderlichere Anspielung auf Steinigungen ein und lässt die Göttlichen mit einem Sessellift (oder ist es eine Kinderschaukel?) gen Himmel fahren. Da wurde schon mehr (von allem) in ein Werk investiert.

Wahnsinn

Intensität kommt aus der Musik – und den Sängerinteraktionen. Thomas Johannes Mayer als Orest, Evelyn Herlitzius als Elektra, Luna stachen hervor, ersterer mit einer riskanten Wahnsinnsszene, die aber aufging. Am Schluss dann entwindet sich Orest mit einem – liebe Grüße von Friedrich Nietzsche – Lachen aus dem Zugriff der alten Götter; aber, das wissen wir: Mit dieser Selbstvertreibung aus dem schrecklichen Garten Eden fangen die Probleme ja erst an.

(Eine ausführliche Kritik lesen Sie am Montag)

Kommentare