"Mephisto" im Burgtheater: Am Laufband zum Abgrund
Es beginnt mit Klaus Mann (Darsteller Fabian Krüger schaut interessanterweise aus wie Klaus’ Vater Thomas Mann), der sich an seine Schreibmaschine setzt und den Titel tippt: „Mephisto“.
Und spätestens jetzt ist eine Korrektur notwendig: „Mephisto“, mit dem die Burg die Saison im Haupthaus eröffnete, ist NICHT die Dramatisierung des Romans – sondern die Dramatisierung der Entstehung dieses Romans.
Fiktion?
Das kann ein wenig verwirren. Bekanntlich ließ sich Klaus Mann für sein Buch vom Leben seines ehemaligen Freundes Gustaf Gründgens inspirieren (der unter den Nazis Karriere machte), aber eben nur inspirieren. Sein Roman ist Fiktion.
In der Inszenierung von Bastian Kraft, der auch die Textfassung schrieb, wechseln die Figuren ständig zwischen Fiktion und realem Vorbild – oder, besser gesagt, liegen irgendwo dazwischen. So heißt Gründgens in der Burg, wie im Buch, Hendrik Höfgen, ist aber homosexuell (im Buch zieht es ihn zu einer schwarzen Domina).
Und es gibt eine zusätzliche Figur, die Sebastian heißt (also ähnlich wie der Regisseur/Autor des Abends), aber eindeutig als Klaus Mann zu identifizieren ist, der als Erzähler fungiert und sowohl seiner Schwester Barbara (erkennbar als Erika Mann, Klaus’ Schwester), als auch Höfgen/Gründgens erotisch verbunden ist.
Teil 1 des Abends (die wilden Zwanzigerjahre) werden als Revue gezeigt, Teil 2 (die Nazis haben die Macht übernommen) als strenge Dominanz-Inszenierung (Hendrik Höfgen wird in ein Sexsklaven-Outfit gezwängt).
Der Abend ist – auch – eine klassische Burg-Materialschlacht: Das Bühnenbild (Peter Baur) wird von einem gigantischen Laufband dominiert, auf dem sich Höfgen nach oben kämpft – dem Abgrund entgegen. Dazu gibt es vier riesige Drehwände, die einmal Projektionsfläche für Live-Filme sind, dann wieder Spiegel, dann Schattenspiel erzeugen.
Eine Schlagwerkerin (Judith Schwarz) kommentiert mit sehr suggestiver Musik die Handlung.
Zweifel
Nicholas Ofczarek ist ein fantastischer Höfgen, er zeigt ihn nicht als kühlen Karrieristen, sondern als von Angst zerfressenen Menschen, der sich zwar den Nazis unterwirft, aber dennoch den Mut findet, bedrohten Freunden zu helfen. Am Ende ist einem diese tragische Figur sogar sympathisch.
Fabian Krüger als Sebastian/Klaus Mann steht ihm um nichts nach, seine Darstellung eines zweifelnden, drogensüchtigen, mit sich ringenden Schriftstellers ist stark. Immer wieder versucht er, in die Handlung einzugreifen, aber seine Figuren wollen nicht auf ihn hören.
Ganz, ganz stark ist Martin Reinke als „Ministerpräsident“ (Hermann Göring) – er liefert eine Sprachstudie ab und zeigt die herrische, aber schon von Selbstekel gezeichnete Sprache der Nazi-Bonzen. Ebenfalls stark: Dörte Lyssewski als Barbara, Sabine Haupt als Nicoletta von Niebuhr und Sylvie Rohrer als (sehr gut) singende Dora Martin. Im Ensemble gibt es keine Schwachstellen: Petra Morzé als „deutsche Schauspielerin“ Lotte Lindenthal, Peter Knaack als idealistischer Kommunist, Simon Jensen als Strichjunge, Martin Vischer als enttäuschter Jungnazi ...
Keine Partei
Bastian Kraft hat einen mit fast dreieinhalb Stunden Dauer zu langen, aber beeindruckenden Theaterabend abgeliefert, der hohe suggestive Kraft entwickelt und für niemanden Partei ergreift. Damit nimmt er dem Publikum die Möglichkeit, sich zu distanzieren.
Großer Jubel, vor allem für Ofczarek.
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