Tatsächlich tötete im Juli 2012 ein junger Mann bei der Premiere von Christopher Nolans „The Dark Knight Rises“ zwölf Menschen und verletzte 70 weitere. Der Täter selbst fühlte sich angeblich für seine Tat nicht von dem Batman-Gegenspieler Joker angestiftet, trotzdem hat sich seitdem der öffentliche Eindruck gehalten, er habe unter dem Einfluss der Comic-Figur gehandelt. Als bekannt wurde, dass das Warner-Filmstudio dem Bösewicht aus dem DC Comic Universum einen eigenen Film widmet, schrieben Familienmitglieder der Shooting-Opfer dem Studio einen Brief und äußerten ihre Sorge, der psychopathische Mörder würde zum sympathischen Helden verklärt.
Im Lichte dieser Debatte ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass bei der Premiere von „Joker“ vergangenes Wochenende in den US-Kinos die Sicherheitsmaßnahmen erhöht wurden.
Die hitzig geführte Debatte schadete dem Kinostart aber keineswegs, im Gegenteil: „Joker“ lukrierte allein in den USA 93,5 Millionen Dollar am ersten Wochenende, was angesichts eines bescheidenen Produktionsbudgets von 55 Millionen Dollar eine besondere Rekordleistung ist. Jenseits der USA spielte „Joker“ weitere 140,5 Millionen ein, China nicht mit eingerechnet. Ob der Film dort einen Kinostart bekommen wird, bleibt aufgrund seines düsteren Inhalts ungewiss.
Doch wie „gefährlich“ ist „Joker“ wirklich? Liefert er eine sympathieheischende, psychologische Vorgeschichte des Killerclowns? Rechtfertigt er dessen Selbstjustiz mit gezückter Waffe? Bietet er genügend Identifikationsfläche, um als Vorbild für gestörte Nachahmer zu dienen?
Die große Überraschung, die „Hangover“-Regisseur Todd Phillips mit seinem gewaltexplosiven Psychothriller bereitete, bestand darin, dass er scheinbar einen Superhelden-Film ohne Superhelden ablieferte. Sein Gotham City ist unschwer als das bankrotte New York aus dem Kino der späten 70er- und frühen 80er-Jahre auszumachen: Man kennt das aus Martin Scorseses „Taxi Driver“, der, gemeinsam mit Scorseses „King of Comedy“, klar als Referenzpunkt dient. Phillips’ Noir City liegt nicht nur ökonomisch, sondern auch moralisch am Boden.
Müll türmt sich in den Straßen, Jugendliche verprügeln hilflose Opfer, angetrunkene Banker belästigen Frauen in der U-Bahn.
Ein ausgemergelter Joaquin Phoenix spielt Arthur Fleck, einen glücklosen Berufsclown, der mit seiner siechen Mutter in einer ranzigen Wohnung lebt. Arthur ist psychisch krank und tablettenabhängig und wäre gern ein Stand-up-Comedian. Leider findet ihn niemand lustig. Eine Herabwürdigung folgt der nächsten und stößt ihn immer tiefer ins Elend.
Irgendwann schlägt der gedemütigte Clown brutal zurück und verwandelt sich in einen mörderischen Reißwolf mit aufgemaltem Grinsegesicht. Seine Maske wird zum Symbolbild für protestierende Massen im Kampf gegen eine neoliberale Macht-Elite.
Der tänzerische Phoenix verausgabt sich meisterlich und Oscar-verdächtig als Killerclown: Zwar fühlt man mit ihm, aber sympathisch oder gar vorbildlich wird er nie.
Und obwohl Phillips seinen „Joker“ als Arthouse-Realismus á la Scorsese verkleidet, bleibt seine Welt sehr dem Comic-Genre verpflichtet und unterteilt sich recht formelhaft in Böse und Noch-Böser. Im Reich der Superhelden ist immer Gewalt die Lösung, insofern macht „Joker“ keine Ausnahme. Gerade in den USA, wo man Pistolen im Supermarkt kaufen kann, ist der so leicht gemachte Griff zur Waffe das Problem – und nicht der Griff zur Kinokarte.
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