Pornografie in 3-D und als Kunstfilm

Pornografie in 3-D und als Kunstfilm
Vorprogrammierter Sexaufreger von Gaspar Noé, Jacques Audiard bleibt unter den Erwartungen.

"Die Männer bekommen eine Erektion, die Frauen werden weinen", hatte Schock-Regisseur Gaspar Noé ("Irreversibel") vollmundig seinen neuen Film "Love" angekündigt.

Mit großer Wirkung.

Publikumsmassen strömten erwartungsvoll zur Mitternachtsvorstellung, um sich den versprochenen Arthouse-Porno in 3-D zu genehmigen. Der DJ neben dem roten Teppich legte vielversprechend James Browns "Sex Machine" auf, an die 300 Besucher mussten wieder weggeschickt werden. Gaspar Noé, ein Mann von kleinem Wuchs, erschien mit seinen Hauptdarstellern und ließ sich bereits vor Beginn der Vorführung mit Standing Ovations feiern.

Dann wurde "Love" gezeigt, und zumindest geweint hat niemand.

Bereits aus dem ersten 3-D-Bild ragte ein erigierter Penis, und mindestens die Hälfte der Filmzeit haben Menschen expliziten Sex – meist zu zweit, manchmal auch zu dritt oder in Gruppen. Natürlich wird auch eine Spermaladung Richtung Publikum abgeschossen und provoziert spontanes Gequietsche.

Ansonsten geht es für Noé-Verhältnisse vergleichsweise übersichtlich und gewaltfrei zu: Der Amerikaner Murphy unterhält eine leidenschaftliche Beziehung zu einer Frau namens Electra. Die beiden experimentieren mit Drogen und anderen Sexpartnern, bis Murphy versehentlich seine junge Nachbarin schwängert. Zwangsläufig gründet er mit ihr eine Familie, während Electra sich mit Heulen und Zähneklappern zurückzieht. Murphy bereut bitter, verflucht sein fades Familienleben und sehnt sich nach der verlorenen Geliebten. Ähnlich wie in "Irreversibel", spielt Noé in den Rückblenden mit den zeitlichen Abläufen und lässt die Liebesbeziehung quasi im Rückwärtsgang zerbrechen.

Gestöhne und Gestreite

Die Idee, über die Intensität von Sexszenen große Gefühle zu erzählen, resultiert zwar in eindrucksvoll gefilmten, farbsatten Tableaux-Shots von Harmony Korines Kameramann Benoît Debie ("Spring Breakers"). Allerdings wollen sich die behaupteten Emotionen nicht so recht einstellen. Zwischen viel Gestöhne und Gestreite modellieren sich keine interessanten Figuren heraus: Die Frauen bleiben blass, der Mann undifferenziert. Und letztlich liefert Noé weder den radikalen Sex-Schocker (zumindest nicht für seine Fans, die Härteres gewohnt sind) noch die überzeugende Liebeserfahrung.

Pornografie in 3-D und als Kunstfilm
Cannes/ Dheepan by Jacques Audiard
Mit "Ein Prophet" gewann der Franzose Jacques Audiard 2009 den Großen Preis von Cannes, doch sein Flüchtlingsdrama "Dheepan" bleibt unter den Erwartungen. Audiard folgt drei Tamilen, die aus Sri Lanka flüchten und sich als Ehepaar mit Kind ausgeben. In einem Vorort von Paris lassen sie sich nieder und müssen nun tatsächlich die Familie spielen, die sich gar nicht sind.

Von den lokalen Dealern in einen Drogenkrieg verwickelt, flackert das Kriegstrauma von Sri Lanka wieder auf. Ein blutiger Showdown treibt die Flüchtlinge nach London. In Paris, so scheint es Jacques Audiard nahezulegen, ist Integration nicht möglich.

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