Pixar-Filmemacher: „Wir brauchen eine dicke Haut“
Manchmal geht ein Zauberspruch auch schief. Als zwei Elfenbrüder ihren verstorbenen Vater mittels Magie für einen Tag ins Leben zurückholen wollen, entsteht ein Problem: Papa materialisiert sich nur bis zur Gürtelschnalle. Der Oberkörper fehlt. Um aus der halben Portion einen ganzen Vater zu zaubern, brauchen sie noch einen besonderen Diamanten, der auf abenteuerliche Weise gefunden werden muss.
Onward: Keine halben Sachen
„Onward: Keine halben Sachen“ (derzeit im Kino) ist der 22. Animationslangfilm des legendären Pixar Animationsstudios. Regisseur Dan Scanlon und Produzentin Kori Rae – das Team hinter Pixars „Monster Uni“ – haben eine berührend-witzige Fantasy-Story geschaffen, in der zwei Brüder ihren Vater suchen und dabei zueinander finden.
KURIER: Herr Scanlon, stimmt es, dass viele Ihrer eigenen Kindheitserlebnisse in den Film eingeflossen sind?
Dan Scanlon: Ja, das ist richtig. Mein Vater starb, als mein Bruder und ich zu jung waren, um uns an ihn erinnern zu können. Wir haben uns immer gefragt, wie er wohl gewesen ist und wie schön es wäre, wenn wir ihn einmal treffen könnten. Diese Geschichte findet sich in „Onward“ wieder: Was wäre, wenn man eine Person noch einmal sehen könnte? Was würde sie von uns und dem, was wir geworden sind, halten? Kori Rae (die Produzentin, Anm.) konnte gleich etwas mit dieser Geschichte anfangen, obwohl sie selbst nicht diese Erfahrung gemacht hatte. Aber auch sie hat Menschen in ihrem Leben verloren, die ihr wichtig waren – und so kam unser Film zustande.
Haben Sie sich sozusagen eine Art Kindheitstraum erfüllt?
Dan Scanlon: Gut möglich. Aber ich glaube, wir kennen alle die Fantasie, wie es wäre, noch einen letzten Tag mit jemanden zu verbringen. Was mich ganz besonders faszinierte, war die Vorstellung, den unbekannten Vater in kleinen Stückchen zu entdecken: Was ist seine Lieblingsfarbe? Was isst er am liebsten? All diese kleinen, magischen Steinchen, die einen ganzen Mann zusammen setzen... Daher kam auch die Idee, dass die Brüder zuerst nur einen Teil des Vaters „bekommen“.
Apropos Teil: Es sieht ein wenig ... schräg ... aus, wenn der Vater nur aus zwei Hosenbeinen und einer Gürtelschnalle besteht.
Dan Scanlon: Genau das finde ich großartig! Anfänglich soll es ruhig ein bisschen unheimlich aussehen. Und das Lustige ist ja, dass die Hosenbeine furchteinflößend, lustig, und dann auch wieder sehr emotional werden können.
Besonders komisch sieht es aus, wenn die beiden Burschen die Vaterbeine an die Leine nehmen und wie einen Hund spazieren führen.
Dan Scanlon: Selbst so eine Szene erinnert an eine Erfahrung, die Menschen machen, wenn ihre Eltern älter werden und Hilfe brauchen.
Ein US-Kritiker hat geschrieben, „Onward“ wäre wie „Die Eisprinzessin“ – nur für Buben. Wie sehen Sie das?
Kori Rae: Ich finde, dass wir nur wenige Filme im Kino sehen, die ehrlich von der Beziehung zwischen Geschwistern, und, vor allem, zwischen Brüdern erzählen. Insofern freuen wir uns ganz besonders über diese sehr persönliche Geschichte.
Trotz Bubengeschichte gibt es auch sehr robuste, durchsetzungsfreudige Frauen – wie die Mutter der beiden.
Dan Scanlon: Ja, wir wollten, dass sich die ganze Welt vertreten fühlt. Meine Mutter war für meinen Bruder und mich alles. Sie hat uns großgezogen, war witzig, inspirierend, liebevoll und unterstützend. Und obwohl mein Bruder und ich neugierig waren, mehr von unserem Vater zu erfahren, haben wir nie einen Mangel gelitten. Daher wollten wir auch zeigen, dass die Mutter der Brüder eine Heldin ist und immer aufseiten der Kinder kämpft.
„Onward“ ist der erste Pixar-Film, der in einer Fantasy-Welt spielt. Warum war Ihnen das wichtig?
Kori Rae: Wir wussten, wir wollten eine Abenteuergeschichte erzählen, die den Vater zurück bringt. Dafür brauchten wir Magie – und mit ihr kam die Fantasy-Welt mit. Zudem dachten wir, es wäre lustig, die Fantasy-Figuren in unsere moderne Zeit zu verpflanzen. Fantasy mit einem Twist, sozusagen.
Das Fantasy-Rollenspiel „Quests of Yore“ nimmt einen wichtigen Platz ein. Rollenspiele sind auch ganz allgemein sehr beliebt. Haben Sie dahingehend Recherche betrieben?
Kori Rae: Oh ja, es gibt Hunderttausende Menschen, die Rollenspiele spielen. Als wir mit der Arbeit begannen, hatten wir selbst nicht unbedingt damit zu tun. Aber es gibt sehr viele Menschen bei Pixar, die Rollenspiele mögen und die beim Entwickeln unserer Geschichte unglaublich hilfreich waren.
Ist es Zufall, dass sich viele Leute bei Pixar stark für Rollenspiele interessieren?
Kori Rae: Naja, es gibt natürlich dieses Klischee, dass Künstler introvertierte Sonderlinge sind ... (lacht)
Sind Rollenspiele eher Männersache?
Kori Rae: Nicht bei Pixar! Eine Kollegin des Story-Teams, Louise Smythe, geht völlig in Fantasy-Rollenspielen auf. Ihre eigene Hochzeit fand in voller Verkleidung statt.
Die größten Herausforderungen der Computeranimation bestanden anfänglich etwa darin, Oberflächen wie Fell oder Wasser naturgetreu zu animieren. Worin bestehen heute die Herausforderungen?
Kori Rae: Uns ging es immer darum, die Story, die wir erzählen wollen, in Bestform zu bringen. Und das, was die Story braucht, treibt die technologische Entwicklung voran. Bei „Monster AG“ (2002) brauchten wir für das Monster Sulley eine Menge Haare – und die gab es bis dahin in der Computeranimation in der Form noch nicht. Selbst in dem zweiten Pixar-Langfilm „Das große Krabbeln“ (1998) mussten wir eine organische Welt von Grund auf erschaffen. Für „Onward“ haben wir lange darüber nachgedacht, wie „das Magische“ des Films und seiner Charaktere aussehen soll. Also ja, wir können mittlerweile alles mit dem Computer machen, und wenn wir, wie bei „Findet Nemo“, Wasser animieren müssen, dann können wir das auch. Aber die Kernfrage ist immer: Was braucht die Geschichte?
Pixar hatte eine Vorreiterrolle in der Computeranimation, doch die Konkurrenz ist versiert. Was macht Pixar heute noch besonders?
Dan Scanlon: Ich glaube, bei Pixar ist es die Story, die am meisten zählt. Sie soll ehrlich und persönlich sein – und darauf wird SEHR viel Zeit aufgewendet.
Kori Rae: Hinzu kommt die Bereitschaft der Filmemacher, ihre Arbeit allen im Studio zu zeigen, und, wenn nötig, auch von allen vernichten zu lassen, um sie dann zu verbessern. Dazu brauchen wir eine dicke Haut. Wir unterstützen uns gegenseitig, aber wir sagen uns auch die Wahrheit. Feedback wird bei Pixar sehr ernst genommen – und dann versuchen wir, Geschichten zu erzählen, mit denen so viele Menschen wie möglich etwas anfangen können.
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