Le Cannet hat für sein Werk eine ebenso große Bedeutung wie Giverny als Landsitz für seinen Freund Claude Monet.
Die Stadt hat 2011 für den Maler, dessen künstlerische Vorbilder vor allem Vincent van Gogh und Paul Gauguin waren, ein Museum eröffnet.
Dort ist eine von vielen Attraktionen die „Ansicht von Cannet“. Mehr als zwei mal zwei Meter misst das Bild, das mit seinen abgerundeten oberen Ecken fast wie eine Wandmalerei wirkt – ein Auftragswerk von einem Pariser, der das idyllische Städtchen jeden Morgen beim Aufwachen vor Augen haben wollte.
In Cannet sei es „sehr schön“, schrieb Bonnard, der beim täglichen Spaziergang Eindrücke in Skizzenbüchern sammelte, um sie später in seinem Atelier auf die Leinwand zu bringen. Nur so ließen sich Empfindungen, die für Bonnard immer eine große Bedeutung hatten, in Malerei übertragen.
„Ich habe alle meine Motive zur Hand. Ich sehe sie mir an, mache mir Notizen. Dann gehe ich nach Hause, und bevor ich male, denke ich nach und träume.“
Seinen Arbeitsprozess fasst der Ausspruch „Die Malerei oder die Transkription der Abenteuer des Sehnervs“ treffend zusammen.
Auf das Spätwerk des Franzosen, das nach seiner ersten tief greifenden Erfahrung des Mittelmeerlichts 1904 einsetzt, konzentriert sich die Ausstellung „Pierre Bonnard – Die Farbe der Erinnerung“ (ab 10. 10.) im Kunstforum Wien.
Mit seiner Kunst der kunstvollen Zeitlosigkeit und dekorativen Flächigkeit konnte Picasso nichts anfangen: „Was der macht, ist keine Malerei. Er kommt nie über seine eigene Sensibilität hinaus.“
Aber je später, umso kühner wird bei Bonnard die Auflösung der Formen. Seltsam, wie er die Bildräume anschneidet. Er denkt sowieso jedes Motiv von der Farbe her. Seine flächig-dekorative Malerei lebt vom intensiven Farbenspiel in Blau-Lila-Violett- bis zu leuchtenden Gelb-Grün-Tönen.
Stilistisch lässt er sich nicht fixieren. Einflüsse der Intimisten und der Impressionisten sind ebenso festzustellen wie expressionistische Vorbilder, während Bonnard, keiner Schule angehören wollte und sagte: „Ich bin der letzte Impressionist.“ Obwohl zu seiner Zeit der Impressionismus bereits Geschichte war.
Aber mit den Impressionisten teilt er die Leidenschaft für feinste Farbschattierungen und die Wiedergabe des natürlichen Lichts. „Unser Gott ist das Licht“, pflegte er zu sagen. Nicht nur Stimmungen, sondern ganze Kompositionen entwickelt und modelliert er über Farbakkorde und -dissonanzen.
Das raffinierte Mit- und Gegeneinander der Farbwerte folgt dem Grundsatz: „Es geht nicht darum, das Leben zu malen, sondern die Malerei zum Leben zu erwecken.“
Stillleben und Landschaften, Straßenszenen und Gärten sind seine Themen.
Und Akte. Wie bei Degas immer wieder die Frau bei der Toilette. Immer wieder ein halbes Jahrhundert lang Marthe, die Geliebte, das Modell, die Ehefrau – oft in der Badewanne. Das letzte seiner Wannenbilder beendet er 1946, vier Jahre nach ihrem Tod. Es zeigt sie schwebend in der Badewanne, als liege Hamlets Ophelia im Wasser.
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