Es ist eine Ausstellung, die ein Tor in den sprichwörtlichen Kaninchenbau öffnet: Es gibt endlose Verzweigungen, ungeahnte Wendungen, und sehr schnell stellt sich die Frage, warum man „den“ nicht kannte. Roberto Matta: Vielleicht ein Begriff für Eingeweihte, aber gewiss keiner, bei dem einem breiten Publikum sofort ein Licht aufgeht.
Ingried Brugger, die als Chefin des Bank Austria Kunstforums nun eine fulminante Werkschau (bis 2. 6.) nach Wien brachte, vermisst oft die Bereitschaft, sich auf solche Künstler einzulassen. Ihren Appell, es mit Matta zu versuchen, kann man nur unterschreiben: Denn der gebürtige Chilene ist zwar in einen hochinteressanten historischen Kontext eingebunden, bietet aber auch viele Anknüpfungspunkte an die Gegenwart.
Eintauchen
Da ist die Idee des Bildes, das seine Betrachter umfängt, im Neusprech „immersiv“ genannt: Matta verfolgte diese Idee früh, indem er einerseits riesige Formate wie das 10-Meter-Ungetüm namens „Coïgitum“ malte, das die große Halle des Kunstforums dominiert. Andererseits hängte er einige Bilder frei schwebend auf – die Rekonstruktion eines solchen Arrangements (1965) füllt einen anderen Raum. Auch das Übereinander und Ineinander von abstrakten und gegenständlichen Elementen in Mattas Bildern wirkt nahe an der Malerei von heute.
Der größte Gegenwartsbezug, den die Schau nahelegt, ist aber die Nähe zur Science-Fiction: Nicht nur Bilder, auch seltsame Wesen und Objekte scheinen bei Matta in einem leeren Raum herumzufliegen, und wer dabei einmal an „Star Wars“-Weltraumschlachten oder die Menschenfarmen in „The Matrix“ gedacht hat, wird den Konnex nicht mehr los – obwohl der Beweis, wen und was der Künstler konkret inspirierte, in der Schau und im Katalog nicht geführt wird.
In der Kunstszene seiner Zeit war der gebürtige Chilene, der 1937 in Paris bei Picassos Antikriegsbild „Guernica“ mitgearbeitet hatte und Ende 1939 nach New York emigrierte, jedenfalls bestens vernetzt: Er war Teil jener Clique exilierter Europäer, die die Ideen des Surrealismus nach New York trugen und damit die Keimzelle für die US-Kunst der Nachkriegszeit bildeten. Mit dabei war auch der Österreicher Friedrich Kiesler. Er ließ in Peggy Guggenheims Galerie „Art of This Century“ ebenfalls Bilder von der Decke hängen und entwarf Sitzmöbel, die jenen Mattas, auf denen man nun im Kunstforum herumfläzen darf, stark ähneln.
Das aktuelle Revival des Surrealismus, an dessen 1924 publiziertes Gründungsmanifest sich heuer mehrere Ausstellungen hängen, soll laut Brugger auch Matta wieder verstärkt ins Licht rücken. Man könnte den Chilenen aber auch als Totengräber der Bewegung bezeichnen: Eine Affäre Mattas mit der Frau seines Freundes Arshile Gorky soll letzteren 1947 zum Selbstmord und zur Lagerbildung unter den Surrealisten geführt haben, die Matta 1948 ausschlossen. Der Weltbürger unterhielt in der Folge u. a. Wohnsitze in Rom und Paris, reiste viel und entwickelte seinen eigenwilligen Stil weiter.
Wie das letzte Drittel der Schau vorführt, beherrschte Matta verschiedene Abstufungen zwischen Fantastik und Realitätsnähe, die er oft konkreten Aussagen anpasste: „Les roses sont belles“ (1951) zeigt eine Sci-Fi-Apparatur, die auf die Tötungsmaschinerie der Nazis anspielt; „La Banale de Venise“ (1955) ist eine Karikatur der Venedig-Biennale, auf der seine Ex-Kumpanen aus Surrealismus-Zeiten als saturierte Größen geehrt wurden.
„Babbo Napalm“ (1973) wiederum spricht mit Inschriften direkt auf B52-Bombardements im Vietnamkrieg an. Der Stil liegt irgendwo zwischen Picasso und Mordillo – ironisch, seiner Entstehungszeit entsprechend und doch an großen Vorbildern geschult. Man muss diese Bilder nicht einmal mögen, um von ihnen fasziniert zu sein: In ihnen steckt Geschichte, Zukunft und ein Quäntchen Irrsinn.
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