Philipp Meyer: "Der erste Sohn" - Hauptsache, der Skalp bleibt dran

Der Schriftsteller Philipp Meyer schreibt Spannendes über Bisoneingeweide
Von Cowboys und Indianern, "Giganten" und "Dallas": 200 Jahre wilder Westen.

Es gibt einen Mythos über den Westen, nämlich dass er von Einzelgängern begründet und beherrscht wurde – dabei ist das Gegenteil richtig (...) man lebte nicht lange, wenn einem nicht jemand den Rücken freihielt," lässt Philipp Meyer seinen Protagonisten Eli sagen.

Doch eine Geschichte von Solidarität und gegenseitiger Hilfe ist die Gründungsgeschichte des Staates Texas in Meyers Roman "Der erste Sohn" mitnichten. Jeder schlachtet jeden, wenn es sein muss, und der Platz am Lagerfeuer ist eine Überlebensfrage, ganz pragmatisch.

Fast zweihundert Jahre Texanischer Geschichte beschreibt Meyer in seinem in den USA euphorisch besprochenem Buch. Und erschüttert den romantischen Mythos vom weißen Mann, der allein die unendliche Weite bezwingt. Er erzählt die Geschichte mehrerer Generationen zweier Familien – der Garcias und der McColloughs– und die Geschichte vom Gemetzel zwischen Weißen, Mexikanern und amerikansichen Ureinwohnern. (Im Englischen Original wie in der deutschen Übersetzung wird der Begriff "Indianer" bzw. "Indians" verwendet. ) Er berichtet vom Aufstieg der Rinderzüchter, der Ölbarone und vom Untergang der Comanchen. Wie die spanischen Einwanderer den Indianern das Land stahlen, das diese anderen Indianern weggenommen hatten. Und wie am Ende alle von den Weißen bestohlen wurden und die Ureinwohner an den eingeschleppten Pocken zu Grunde gingen.

Der Colonel

Der Erste Sohn, das ist der 1836 geborene Eli McCullough. Er, sein Sohn Peter und seine Urenkelin Jeanne Anne führen durch die Geschichte der Familie bis zur Gegenwart. Eli – er wird später ehrfurchtsvoll "Der Colonel" genannt– wird in seinem hundertjährigen Leben viel Blut an seinen Händen haben. Als Kind wird er von Comanchen entführt, bei denen er drei Jahre lebt, seine Familie wird ermordet. Nach seiner Rückkehr in die "Zivilisation" wird Eli nie mehr normale Schuhe tragen oder sich sonst irgendwie anpassen können. Er bleibt ein Suchender. Als Texas Ranger tötet er Comanchen ebenso wie Weiße, doch am Ende wird er sagen: "Ich sterbe nicht als Christenmensch, auch wenn mein Skalp unversehrt ist, und falls es die ewigen Jagdgründe gibt, bin ich dorthin unterwegs."

Der Gründungsmythos

Trotz Jagdgründen: Meyer romantisiert nichts. Grausam sind sie alle miteinander. In der großen, wie in der kleinen, der Familiengeschichte: Die nächste Generation wird die eigenen Nachbarn ermorden. Ein Diebstahl dient den McColloughs als Vorwand, eine ganze Familie auszulöschen. Wie ein Fluch liegt das Verbrechen über ihnen, so, wie die blutige Gründung über der Geschichte des Landes liegt. Die Romeo und Julia-Story, die in diese Tragödie eingebettet ist– ein McCullough liebt eine Garcia – ist eine der wenigen aufrichtigen Liebesgeschichten in dieser Familie, und selbstverständlich ist sie verboten.

Doch Meyer beschreibt keine Schablonen – "Dallas" kommt nur im Fernsehen vor. Elis Urenkelin Jeanne Anne, Texas’ erste Ölmillionärin, ist eine interessante Figur, eine frühe Feministin wahrscheinlich, die sich aber nie so nennen würde. Meyer beschreibt sie als Frau, die "nicht viel braucht, und auch nicht viel zu geben hat". Dennoch hat man als Leser viel übrig für sie.

Philipp Meyer: "Der erste Sohn" - Hauptsache, der Skalp bleibt dran
XX
Schönes Detail: In dieser fiktiven Familienstory kommt die echte Autorin Edna Ferber vor, die Jeanne Annes Geschichte aufschreibt – ihr Roman "Giganten" wurde mit James Dean verfilmt.

In seine Mischung aus Familiengeschichte und Sachunterricht steckt Meyer viel Liebe zum Detail: Seitenweise beschreibt er, wie weit man ein Bison verarbeiten kann. Sehr bekömmlich soll der Saft der Gallenblase sein. Daran sollte denken, wer vom Rind immer nur das Filet will.

Info: Philipp Meyer: „Der erste Sohn“. Übersetzt von Hans M. Herzog. Knaus.
608 Seiten. 25,70 Seiten

KURIER-Wertung:

Kommentare