Die Geborgenheit im Komasaufen

Peter Wawerzinek erhielt 2010 für seinen Auszug aus dem autobiografischen Roman "Rabenliebe" den Bachmannpreis
Der Gewinner des Bachmannpreises über Alkohol: Bekenntnisse eines "Schluckspechts".

Mit seiner Erzählung über ein Kind, das in der DDR von der Mutter im Heim zurückgelassen wird, arbeitete Peter Wawerzinek seine Kindheit auf. Nach "Rabenliebe" folgt nun die ebenfalls autobiografisch gefärbte Erzählung "Schluckspecht": Ein sprachgewaltiger Roman, poetisch wie ein Gedicht ...

... über die Alkoholsucht.

Und eine Liebeserklärung an seine Pflegemutter. Das Buch ist "Frau Hannelore Kayn" gewidmet. "Tante Luci", wie sie hier heißt, und "Onkelonkel" sind liebevolle Kümmerer, die richtigen Eltern, eine arme Irre und ein Schwerenöter, haben das nicht geschafft.

Onkel und Tante lindern "Vater- und Mutternot".

Dass die Ersatzeltern Alkoholiker sind, fällt dem Buben nicht auf. Die Trunksucht ist sein Zuhause, seine Kinderreime sind Trinksprüche. "Lieber Korn im Blut als Stroh im Kopf. Lieber Rum trinken als rumsitzen. Sieben Leben hat die Katz, kipp dir einen hintern Latz." Der Bub kann’s nicht recht auseinanderhalten, denn Tante Luci, klein, mager, ein Likörglas in der Hand (" Kirsche mit Nussgeschmack, sonnengereift"), zitiert ja auch Schiller und Goethe, während sie, Kettenraucherin, schöne Ringe bläst. Und der Junge ist fasziniert vom runden Aschenbecher, auf dem die "Kippen Karussell fahren".

Rumtopf

Die Geborgenheit im Komasaufen

Und erst die Früchte im Rumtopf! Die duftenden Erdbeeren – der Onkel hatte immer die beste Sorte im Garten, "Mieze Schindler". Für den Eierlikör verwendete Tante Luci Selbstgebrannten. Und der gute Pudding war ihr Markenzeichen. Ihr Geheimnis: Rum statt Wasser.

Seine erste Liebe heißt "schwarze Johanna". Johannisbeerwein. Denn nur die Liebe führe einen "sanft in ungeahnte Bereiche", hat Tante Luci immer gesagt. Und so ist es jetzt bei der Johanna, der Königin aller Fruchtweine. Johanna ist immer für ihn da, Johanna beschützt ihn. Aber irgendwann wirkt sie nicht mehr. Es folgt Wodka Cola, später nur mehr Wodka. Am Ende Brennspiritus.

Er pubertiert und reift zum Trinker, noch ehe der Stimmbruch da ist. Die Stimme klingt männlicher, wenn er gekotzt hat. Keine 15, rückt er regelmäßig den Speibkübel ans Bett, bevor er sich ins Koma trinkt. Im Rausch ruft er nach seinen richtigen Eltern.

An seinem 25. Geburtstag will er zum ersten Mal nicht mehr am Leben sein. Die Tante wird ihn schließlich aus dem zugemüllten Zimmer retten und in eine letzte Auffangstation für Alkoholiker bringen. Fünf Jahre wird er dort verbringen. Jahre, in denen er wieder zu leben lernt.

Bierchen

Wie schon in "Rabenliebe", redet auch hier der Titel das Große scheinbar klein. "Schluckspecht" ist ein Euphemismus für den Weg in den Exzess, den Wawerzinek authentisch, weil selbst erlebt, beschreibt. Es heißt ja auch "Bierchen" und das Wirtshaus ist die Tankstelle für neuen Mut, dort trinkt man "Ampel": Campari, Bier, Kräuterschnaps.

Der Berliner Wawerzinek, 59, fiel literarisch erstmals 1990 auf. Seinen Abstieg zur Hölle beschreibt er ohne Selbstmitleid, hier ist Raum für Humor und Poesie, manchmal auch bitterböse: "Die Pubertät? Sitzen im Pub er tät."

KURIER-Wertung:

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