Peter Simonischek: "Haben nicht zu den Opfern gehört“
Für die Rolle eines schrulligen Vaters mit filzigen Haaren und falschen Zähnen, der sich in das Leben seiner viel beschäftigten Tochter einmischt, wurde Peter Simonischek beim Europäischen Filmpreis 2016 als bester Schauspieler ausgezeichnet.
Mit dieser Vorgabe – so könnte man meinen – wird jeder Film, in dem der 73-jährige Kammerschauspieler die Hauptrolle spielt, Österreichs Kinokassen zum Klingen bringen. Wie etwa sein neuester Film „Crescendo“, der gerade höchst erfolgreich in deutschen Kinos läuft. Trotzdem wird das österreichische Publikum diesen Film des israelischen Regisseurs Dror Zahavi, in dem Simonischek einen berühmten Dirigenten und Sohn deutscher NS-Verbrecher spielt, nicht zu sehen bekommen. Denn es hat sich (noch) kein Verleih gefunden, der ihn hierzulande herausbringen will.
Simonischek unternimmt aber alles, wie er im KURIER-Interview betont, damit „Crescendo“ doch noch in die heimischen Kinos kommt.
KURIER: Man kann Ihnen im Film „Crescendo“ dabei zusehen, wie Sie ein Orchester dirigieren. Nun sagen viele Schauspieler – wie etwa Stellan Skarsgård, der unter der Regie von István Szabó den Wilhelm Furtwängler verkörperte, dass nichts schwieriger sei, als vor einer Kamera den Taktstock zu schwingen, wenn man diesen Beruf nicht erlernt hätte. Wie war es für Sie?
Peter Simonischek: Die Orchesteraufnahmen wurden zuerst von einem Profi dirigiert und gefilmt. Mir wurden dann diese Aufnahmen vorgespielt, damit ich den Dirigenten möglichst glaubwürdig nachspielen konnte. Allerdings hatte man ihn von vorne aufgenommen, sodass ich immer seitenverkehrt denken musste. Vor den Dreharbeiten war ich auf Urlaub in Griechenland und habe mir dort die Musik über Kopfhörer wieder und wieder angehört. Dazu habe ich mein Dirigat in die Luft gepinselt (lacht). Das hat mir Spaß gemacht – wie eigentlich alles, was ich dank meines Berufs erlernen kann und muss. Auch das Textlernen. Das sind alles überschaubare Erfolgserlebnisse in einer überschaubaren Zeitspanne. Darum mag ich auch das Rasenmähen. Hauptsache man sieht, dass etwas weitergeht (lacht).
Haben Sie sich bei Ihrer „Luftpinselei“ zur Musik auch an Daniel Barenboim oder an anderen berühmten Dirigenten orientiert?
Besonders gerne habe ich mir den Leonard Bernstein angesehen. Da gibt es ein Video auf YouTube, in dem er zum Spaß ohne Stab dirigiert und auch die Arme nicht bewegt. Nur mit dem Kopf und mit den Augen gibt er die Einsätze. Es war für mich sehr aufschlussreich, wie er dabei mit jedem einzelnen Musiker kommuniziert. Man konnte den Augen und der Mimik von Bernstein ablesen, wer gerade gemeint war. Man hat genau gesehen, ob er einer jungen, unerfahrenen Musikerin den Einsatz gibt, oder einem alten Orchester-Hasen. Er war ein großartiger Künstler, bei dem die Verbindung von Kopf, Herz und Zwerchfell spontan und perfekt funktionierte. Von ihm habe ich viel gelernt – nicht nur was das Dirigieren betrifft.
Angeblich wollten Sie die Rolle zurücklegen, als in einer neuen Drehbuchfassung eine Szene gestrichen wurde, aus der hervorgeht, dass die Eltern des Dirigenten, den Sie spielen, Nazi-Täter waren. Stimmt das?
Die Eltern des Dirigenten waren KZ-Ärzte und die Szene, in der er das erfährt, war in der neuen Drehbuch-Fassung gestrichen. Ich habe befürchtet, dass sich der Film dann nur mehr auf seine Arbeit mit dem Jugendorchester konzentrieren würde. Natürlich ist der israelisch-palästinensische Konflikt, der beim gemeinsamen Musizieren immer wieder durchbricht, sehr spannend und wichtig. Aber die familiäre Verbindung des Dirigenten zu den Verbrechen des Nationalsozialismus war mir auch sehr wichtig. Deshalb wurde sie dann in diesem Film letztlich doch wieder thematisiert. Aber ich will jetzt nicht zu viel verraten – obwohl der Film vielleicht eh nie in Österreich zu sehen sein wird.
Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür, warum der Film nicht nach Österreich kommt?
Vielleicht ist man hierzulande der Meinung, dass es eh schon genug Filme zu diesem Thema gibt. Man hört ja oft Sätze wie: Lassen wir’s endlich gut sein. Strich drunter.
Und dagegen sind Sie?
Wenn jemand einen Strich drunter machen kann, dann sind es die Juden. Wir nicht. Bei all dem, was in der Vergangenheit passiert ist, können wir nicht entscheiden, wann es „genug ist“. Das können nur die Betroffenen, die Opfer. Wir haben nicht zu den Opfern gehört, auch wenn wir das viele Jahre und jahrzehntelang gerne so gehabt hätten. Der Staatsvertrag hat uns diese Lesart auch angeboten. Und bis zur Waldheim-Causa haben wir unsere Opfer-Rolle sehr gerne übernommen.
Sie spielen in vielen Filmen mit, die sich mit der Zeitgeschichte auseinandersetzen. Ist Ihnen das ein Anliegen?
Bei politisch relevanten Filmen gibt es für mich immer einen Grund, mitzumachen. Und je älter ich werde, desto sinnvoller finde ich es, in solchen Werken Spuren zu hinterlassen. Jetzt muss ich nicht mehr auf meine Karriere achten und kann mich daher auf den Inhalt meiner Arbeit konzentrieren. Aus diesem Grund habe ich auch bei „Crescendo“ mitgemacht. Der Umgang mit den jungen Israelis und Palästinensern und die Auseinandersetzung mit dem Thema war für mich interessant und wertvoll – es wäre ein großer Fehler gewesen, den Film nicht zu machen. Er hat mir menschlich und politisch sehr viel gegeben. Und auch dem deutschen Publikum, wie mir von vielen Zuschauern versichert wurde. Darum wäre es auch so wichtig – nicht nur für mich – dass der Film in Österreich gezeigt wird.
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