Pereira: "Man muss ein Stehaufmännchen sein"
Schreibtisch, Regal, Sitzgarnitur, weiße Wände. Soweit die Beschreibung von Alexander Pereiras Büro in Salzburg. Seit Montag ist er hier. Die Arbeit stapelt sich, da bleibt keine Zeit, Wände zu zieren. "Außerdem hab` ich schon ein Bild", strahlt er und zeigt auf das Bild seiner Lebensgefährtin Daniela im breiten Goldrahmen, das neben dem Computer steht.
Daniela ist auch hier, sie wartet im Vorzimmer auf ihn, er freut sich wie ein Schneekönig. Nach dem Interview fahren beide im Mercedes CLS weg, sie am Steuer.
Schon dieses Wochenende begannen die Festspiele mit Pereiras Innovation eines sakralen Vorspiels, der "Ouverture spirituelle". In der Business-Sprache hieße das "Soft Opening", eröffnet wird dann kommenden Freitag.
KURIER: Sie haben für Ihre Arbeit in Salzburg prophezeit: "Ich mache das mit Liebe." Spüren Sie die Liebe noch, oder hat sie die Tagespolitik schon verdrängt?
Alexander Pereira: Die Tagespolitik gehört zur Liebe dazu. Es gibt kein Schlaraffenland, auch die Salzburger Festspiele sind keines. Aber für mich sind sie ein Geschenk. Ich darf als Österreicher in die Heimat zurückkommen. Und ich darf das bedeutendste Festival der Welt leiten (zögert kurz) – auch wenn es gern als eierlegende Wollmilchsau gesehen wird.
Und Sie nähern sich dem Anspruch "eierlegende Wollmilchsau", indem Sie die Festspiele um spirituelle Musik erweitern und damit schon einige Tage früher starten?
Ich wollte immer schon ein Festival geistlicher Musik machen. Dieser Tage ist mir ein Entwurf in die Hände gefallen, mit dem ich mich 1983 bei der Konzerthausgesellschaft beworben habe. Da stand schon drin, dass ich ein Fest geistlicher Musik plane.
Wie war der Empfang in Salzburg?
Viel Arbeit, viele Fragen.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit Helga Rabl-Stadler, der Festspielpräsidentin?
Wir haben noch nie Tag für Tag miteinander gearbeitet, das können wir jetzt erproben.
Die Präsidentin hat in einem KURIER-Interview auf die Frage "Wie beschreiben Sie Alexander Pereira in drei Worten?" geantwortet: "Immer in Bewegung." Wie würden Sie Helga Rabl-Stadler in drei Worten beschreiben?
Immer in Bewegung (lacht) .
Machen Sie sich hier Feinde mit kritischen Ansagen, wie: "Salzburg hat Boden zurückzugewinnen!"?
Nein. Es geht darum, dass die finanzielle Problematik so virulent geworden ist, dass sich das massiv auf die Ausübung der Kunst auswirkt.
Und das wollen Sie verhindern, indem Sie den Anteil der Sponsorenbeiträge am Budget weiter erhöhen. Dafür reisen Sie um die Welt.
Salzburg ist ein globales Ereignis und keine Lokalveranstaltung. Deswegen muss ich meine Kontakte weltweit pflegen. Nur über Private Public Partnership können die Festspiele ihrer Funktion als weltweit bedeutendstes Festival gerecht werden.
Das Kuratorium will da die Bremse ziehen und einem Budget jenseits der 60 Millionen für 2013 nicht zustimmen, Sie wollten über Sponsorengeld auf 64 Millionen kommen und haben mit Rücktritt gedroht. Aber das Kuratorium befürchtet, dass durch eine Ausweitung der Festspiele Strukturen geschaffen werden, die auf Dauer nicht haltbar sind.
Die Ausweitung hat bereits von 2011 auf 2012 stattgefunden. Ich habe die Ouverture spirituelle erfunden, und ich habe eine zusätzliche Spielstätte, den Residenzhof. Ich weite die Festspiele nicht mehr aus. Es geht nur darum, die Tariflohnerhöhungen abzufangen.
Man wirft Ihnen vor, Sie lebten in einer "Welt, die keine Krise kennt". Sehen Sie den Ernst der Lage nicht?
Wir sind kein Klein-Klein-Unternehmen, das von lokalen wirtschaftlichen Problemen abhängig ist. Wir sind ein Weltunternehmen. Und die Maßnahmen, die ich ergreife, mitten in der Krise, bringen der Region zusätzliche Umwegrentabilitäten von 50 bis 60 Millionen.
Sind Sie mit dem Kuratorium bereits handelseins?
Das sehen wir am 26. Juli. Ich denke aber, dass wir uns deutlich angenähert haben.
Sie haben Ihre Rücktrittsdrohung inzwischen relativiert. Würden Sie so etwas in einer ähnlichen Situation wieder sagen?
Ich habe eine Aufgabe übernommen. Wenn ich jetzt in einen schwarzen Tunnel hineinmarschiere und am Ende den Lichtschein sehe, ist es meine Verantwortung zu sagen: "Wir müssen durch den Tunnel durch, ich weiß den Weg."
Wo sehen Sie konkret den "Weg durch den Tunnel"?
Wenn ich die Kartenpreise nicht erhöhen kann, die Subventionen nicht höher werden und ich für Fixkosten keine Sponsoren finde, gibt es nur einen Weg: Das Programm so attraktiv zu gestalten, dass sich das Geld findet und die Einnahmen.
Aber dann haben Sie mit dem Vorwurf zu kämpfen, Sie würden "Schlager" von "Zauberflöte" über "La Bohème" bis "Carmen" spielen.
Jeder Intendant der Salzburger Festspiele hat über sich ein Damoklesschwert hängen, und das heißt: erstklassige Mozart-Interpretationen. Es gibt keinen risikoreicheren Beginn, als die Zauberflöte zu spielen, weil jeder weiß, wie man sie inszenieren muss. Die Bohème spielen wir, weil ich mich geärgert habe, dass die Salzburger Festspiele nie ein Werk von Puccini aufgeführt haben. Und dass ich die Carmen von den Osterfestspielen nachspiele, war beschlossen, bevor ich zum Intendanten gewählt wurde.
2013 ist Wagner- und Verdi-Jahr. Es soll dann, hört man, 12 statt 9 Opern geben.
Das stimmt nicht. Szenische Aufführungen wird es weniger geben als 2012. Aber die Komponisten Wagner und Verdi haben keine Konzerte geschrieben, keine Sinfonien, nur Opern. Daher wird es konzertante Opern geben. Aber das ist dann ein Konzert und keine Oper.
Und was wird das sein?
Das erfahren Sie im November. Mein Kuratorium hat eh schon zu viel verraten.
Also: Wir dürfen mit Wagner und Verdi rechnen. Aber was genau ...
... das wird noch ein bisschen dauern. – Bin ich ekelhaft (lacht)?
Das kommt darauf an, wie Sie es betrachten: Sehen Sie sich selbst als Ekel oder als verbindendes Element? Einerseits betonen Sie , dass Sie Katalysator und Vermittler für die Künstler sind. Andererseits gehen Sie keiner Konfrontation aus dem Weg.
Ich glaube, dass man im Leben manchmal durch Disharmonie zur Harmonie gelangt. Man muss es aushalten, in Spannungen hineinzugehen und diese abzubauen. Ich halte mich schon für einen harmonischen Menschen, aber in dem Sinn, dass ich bereit bin, für eine höhere Harmonie zu kämpfen.
Keine Scheu vor Konflikten?
Dann wäre ich hier fehl am Platz.
Sind Sie ein emotionaler Mensch?
Ich bin ... wie soll ich es sagen? Ich mache, was ich liebe, daher bleibt mir gar nichts anderes übrig, als ein emotionaler Mensch zu sein.
Sie gelten als erfolgsverwöhnt. Gab es Niederlagen?
Immer wieder. Bei meiner Verkaufstätigkeit für Olivetti habe ich gelernt, ein Stehaufmännchen zu sein. Wenn Sie von Tür zu Tür gehen, versuchen, den Leuten etwas zu verkaufen, und jeder schmeißt Ihnen die Tür zu, dann gehen Sie ins nächste Wirtshaus, weinen und halten sich für ein hässliches Entlein. Aber dann fangen Sie an nachzudenken und sagen: "Gut, ich will dem eine Schreibmaschine verkaufen, aber er hat schon eine und schreibt nur einen Brief im Jahr. Warum sollte er eine Schreibmaschine kaufen?"
Heißt das, man soll nicht jedes Nein persönlich nehmen?
Genau, wenn man das trennen kann, bezieht man daraus die Energie, es immer wieder zu probieren und für die eigene Überzeugung einzutreten. Man muss im Leben ein Stehaufmännchen sein können.
Sie bücken sich auch und heben ein Papierl auf, das herumliegt, haben Sie in einem Interview erzählt.
Ich bin mir für nichts zu gut. Ich bin ein Dienender an der Sache. Und da ist es ganz klar, dass ich ein Papierl aufhebe. Warum sollte ich es nicht tun? Ich sitze ja auch nicht auf einem besseren Häus`l als jemand anderer.
Es gibt Chefs, die sich eigene Toiletten einbauen lassen.
Ja, aber das ist doch lächerlich. Die Leute sollen mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben und dabei ihre Träume leben. Wenn sie einen Meter über der Erde schweben und dann zu träumen anfangen, landen Sie im Wolkenkuckucksheim.
Haben Sie nie Starallüren?
Nein! Was bringt mir das? Mich muss nicht jeder lieben, ich bin ein ganz normaler Mensch, mit dem man hoffentlich normal reden kann.
In Wien verschwinden große Kulturmänner, wie Seipel, Noever, Matt, die sich gern selbst in die Auslage Ihrer Institution gestellt haben, allmählich von der Bildfläche. Sie sagen: "Ich bin ein Dienender." Werden Sie nicht in der Auslage stehen?
Natürlich ist es auch wichtig, dass man an die Öffentlichkeit tritt und die Anliegen seiner Institution verbalisiert. Das tue ich. Aber der Intendant ist in erster Linie Ansprechpartner seiner Künstler. Als ich nach 21 Jahren in Zürich weggegangen bin, hab ich einen Heiligenschein gehabt, ich war dort so etwas wie der Familienvater.
Sie sollen ja nervöse Sänger bei Rollendebüts buchstäblich an der Hand genommen und zur Bühne geführt haben ...
Bleiben wir bei dem Ausdruck "Dienender": Ich bin der Diener der Qualität und der Diener meiner Künstler. Ich will versuchen, sie dorthin zu lieben, wo ihre Fähigkeiten bestmöglich zum Ausdruck kommen.
Reden Sie gern über Geld?
Ich rede über Geld, wenn es darum geht, ein Problem zu lösen, das mit Geld zu tun hat. Aber ich träume nie von Geld. Geld ist ein Mittel zum Zweck, nie Selbstzweck.
Wenn Sie unendlich viel Geld hätten, wofür würden Sie es privat zuerst ausgeben?
Ich würde es spenden. Ich habe eine Stiftung für behinderte Mädchen in Indien, da sind immer Projekte zu finanzieren. Das sind die Dinge, die wichtig sind.
Welche Frage, die ich nicht gestellt habe, würden Sie noch gern beantworten?
Ich weiß nicht ... vielleicht die: "Glauben Sie, dass Sie hier Stille finden werden?"
Stille? Hier? Während der Festspielzeit?
Ja. Wenn etwas gelingt, springe ich nicht vor Begeisterung, dann bin ich irgendwie still ...
Also gut: Glauben Sie, dass Sie hier Stille finden werden?
Ich weiß es noch nicht.
Und was sagt Ihr Gefühl?
Noch nichts. Das ist das Abenteuer, auf das man sich einlässt. Man muss im Leben alles riskieren, um entweder alles zu gewinnen oder alles zu verlieren.
Dann kommt ja hier nur gewinnen infrage.
Nein. Ich lebe auch immer mit dem Scheitern.
Pereiras Stationen: Wien, Zürich, Salzburg
Karriere: Geboren 1947 in Wien, wollte Sänger werden, seine Eltern drängten ihn, einen "Beruf" zu ergreifen. Er war Tourismusmanager in London und arbeitete bei Olivetti in Deutschland. Erst ging er mit Schreibmaschinen hausieren, dann arbeitete er sich in eine leitende Position hoch. Nebenbei studierte er Gesang und organisierte Konzerte. 1984 kam er als Generalsekretär der Konzerthausgesellschaft zurück nach Wien, 1991 ging er als Intendant ans Opernhaus Zürich. Dort trieb der "Sponsoring-Weltmeister" in knapp 21 Jahren 250 Mio. Euro auf. Er stand auch selbst auf der Bühne: als Haufhofmeister in der "Ariadne auf Naxos", eine Sprechrolle, die er auch an der Staatsoper gespielt hat. 2009 gab das Salzburger Kuratorium bekannt, dass er Intendant der Festspiele wird.
Familie: Sein Name stammt von portugiesischen Vorfahren ab: Seine Urururgroßmutter Fanny von Arnstein, Mitbegründerin der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde, adoptierte einen Pereira, den ihre Tochter Henriette später heiratete. Alexander Pereira hat zwei Kinder mit seiner Jugendliebe Estelle, von der er sich vor einigen Jahren trennte. Seit 2006 sind er und die Brasilianerin Daniela Weisser ein Paar. 2007 traten sie erstmals gemeinsam auf. Unkenrufen der Society zum Trotz hat sich die Beziehung trotz der 40 Jahre Altersunterschied gehalten. "Weil wir uns so verdammt gut verstehen", sagt er. Pereiras zweite Leidenschaft gilt seinen Rennpferden. Die stehen in Frankreich und kommen nicht mit nach Salzburg. Er sagt: "Ich werde sie reduzieren, auf null, vielleicht eines behalten."
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