Als „nordischer Faust“ wird Henrik Ibsens groß angelegtes, fünfaktiges, aberwitziges (Traum-)Weltendrama „Peer Gynt“ gerne bezeichnet. Und das trifft es ja auch ganz gut. Denn wie Johann Wolfgang von Goethes „Faust“ will bekanntlich auch Ibsens Titelheld die Welt aus den Angeln heben, will Kaiser, Prophet werden – ohne Rücksicht auf menschliche Verluste. Und ist dabei doch stets nur auf der Suche nach seinem eigenen Selbst, seinem inneren Kern.
Ohne Rücksicht auf Verluste hat sich auch Regisseur Viktor Bodó bei der letzten Premiere im Haupthaus – es wird umgebaut und saniert, das Volkstheater weicht ab Jänner ins Museumsquartier aus – diesem Stoff genähert.
Mit Erfolg. Denn Bodós „Peer Gynt“ gehört mit Abstand zum Besten, das in der Direktion von Anna Badora zu sehen war – und ist.
Dreifacher Peer
Bodó räumt Ibsen in dem so großartig wandelbaren, aus weißen, aber viel Raum gebenden Wänden (inklusive sehr kluger Video-Projektionen) bestehenden Bühnenbild von Agnes Bobor richtig ab. Es gibt gleich drei, altersmäßig divergierende Peers: Nils Hohenhövel ist der junge, Frauen schändende Lügner und Fantast, Jan Thümer der gesellschaftlich arrivierte Geschäftsmann und Sklavenhändler, Günter Franzmeier der verblendete Forscher, Prophet mit E-Gitarre und Regent über eine Irrenanstalt. Erlöst wird jedoch – was wiederum schade ist – bei Bodó anders als bei Ibsen keiner der drei Protagonisten. Stattdessen spielt die Inszenierung lustvoll, schrill und laut (toller Soundtrack von Klaus von Heydenaber) mit all den absurden Situationen, in die Peer gerät.
Viele Behauptungen
Das Reich der Trolle als spießig-aufgegeilte Selbstzufriedenheitsgesellschaft, die Irren als die Wahrheit verkündende Ungehörte, Mutter Aase als ein vom Gerichtsvollzieher gepfändetes irrlichterndes Überweib, der Krumme als eine Art Big Brother, Anitra als überzeichnetes Groupie und so weiter ...
Bodó lässt nichts aus, spielt auch mit der Lust am Spielen, mit überaus effektvollen Behauptungen. Und das ist auch gut so, den die pausenlosen (es wurde am Text massiv gekürzt) zwei Stunden erlauben keinen Stillstand, sind keine Sekunde langweilig. Was bei der ideenreichen Inszenierung – wichtig auch die Licht- (Paul Grilj) und Videotechnik (Vince Varga) sowie die teils punkigen Kostüme (Andrea Kovacs) – auf der Strecke bleibt, ist die bei Ibsen vorhandene Tiefe. Dieser „Peer Gynt“ ist ein knallbuntes, aber optisch oft in schwarz-weiß gehaltenes Theaterlutschbonbon. Die Darstellerinnen und Darsteller – neben den bereits erwähnten drei Peers – noch Evi Kehrstephan, Dorka Gryllus, Steffi Krautz, Stefan Suske, Günther Wiederschwinger, Andreas Grötzinger, Martin Knuhr sowie Albert Held – sind in Mehrfachrollen mit Eifer und mit Witz bei der Sache. Ja, man könnte frei nach Ibsen fragen: „Und wo ist der Kern?“ Doch das ist diesfalls gar nicht nötig. Denn Bodós Interpretation gibt den Weg vor: „Geh durch die Mitte!“ Das wäre auch sehr gut für das Volkstheater.
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