"Peer Gynt": Ein Rockstar sucht sich selbst

"Peer Gynt": Ein Rockstar sucht sich selbst
Kritik – „Peer Gynt“ wird in die Geheimnisse von Sex, Drugs und Jazz eingeführt. Der Isländer Ingvar E. Sigurdsson (Gynt) spielt nicht, sondern erleidet die Rolle.

Peer Gynt" ist so etwas wie der norwegische "Faust": So wie Goethe lässt Ibsen seinen ewig suchenden Helden in einem kaum spielbaren dramatischen Gedicht um die Welt reisen, das Leben in allen Facetten auskosten – und schließlich am Ende, als die Hölle Ansprüche auf dessen Seele anmeldet, in den Schoß des ewig Weiblichen flüchten.

Der Unterschied ist: Während Faust nicht weniger finden will, als den Sinn schlechthin ("zu wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält"), sucht Peer Gynt sich selbst. (Wir lernen: Offenbar ist der Norweger weniger anmaßend.)

Peer Gynt, der sich als junger Mann seine Abenteuer wie ein Lügenbaron selbst zusammenfantasiert, bevor er dann tatsächlich ins Reich der Trolle findet, erlebt sich selbst als "Zwiebel": So viele Häute er auch abzieht, er findet immer nur eine neue Haut, nie den Kern. Wo Faust am Ende seines Lebens den perfekten Augenblick ("verweile doch, du bist so schön") zumindest ahnt, geht es Gynt um ein anderes Moment-Erlebnis: War ich, wenigstens für einen Augenblick, ganz ich selbst?

Er war es nie, verurteilt er sich selbst. Er war es immer, sagt seine Geliebte Solveig, die er vor Jahrzehnten sitzen gelassen hat. In ihrer Liebe war er immer er selbst, erklärt sie, und bettet seinen Kopf in ihren Schoß.

Stille

Mit diesem großartigen Bild des Zur-Ruhe-Kommens beginnt und endet Irina Brooks Version von Ibsens Stück, die am Montag auf der Perner Insel in Hallein Festspiel-Premiere hatte. Es ist einer der wenigen Vorwürfe, die dieser unterhaltsamen wie poetischen Arbeit zu machen ist: Dass sie nicht mehr solcher Momente zulässt.

Brook – die augenzwinkernd Stilelemente ihres berühmten Vaters Peter zitiert – erzählt in Wahrheit eine Geschichte über das Theater. Darüber, wie es aus Luft Märchen baut, die wieder zu Luft zerfallen.

Brooks Version des Textes – Sam Shepard war ihr ein großartiger Co-Autor und lieferte Monologe in Gedichtform, von Iggy Pop kamen zwei hübsche Punk-Songs – berichtet vom Aufstieg und Fall eines Rockstars. Diese Sichtweise funktioniert gut, wenn es darum geht, das Epos in die Gegenwart zu holen.

Gynt ist zuerst ein ungelenk die Gitarre schlagender Nachwuchsmusiker, bevor er im Club des Bergkönigs in die Geheimnisse von Sex, Drugs und Jazz eingeführt wird. Zu Ruhm gelangt, wird er mit Drogen, medialer Gier und Tod konfrontiert und erlebt den Absturz ("Meine Mutter hat alle deine Alben", sagt ein Mädchen, ehe es den Betrunkenen ausraubt). Schließlich verfällt Gynt einer Sekte, bevor er den weiten Weg nach Hause antritt.

Irina Brook erzählt das unter Einsatz aller schaustellerischer Mittel: Sprache, Gesang, Tanz, Clownerie, Mummenschanz, Licht. Die Musiker sind auch Schauspieler, die Schauspieler auch Tänzer usw. Was dem Spiel an Perfektion fehlen mag, wird durch Leidenschaft ausgeglichen.

Hauptrolle

Großartig ist die Leistung des Isländers Ingvar E. Sigurdsson, der die Hauptrolle weniger spielt, als körperlich erleidet. Nach der Pause bleiben viele Plätze leer, am Ende, nach dreieinhalb Stunden, gibt es Bravos, aber auch stille Flucht.

KURIER-Wertung: **** von *****

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