Pedro Almodóvar im Interview: Leben und Sterben nebeneinander
Es gibt Dinge im Leben, die Pedro Almodóvar nicht versteht. Den Tod, zum Beispiel: „Was den Tod betrifft, fühle ich mich absolut unreif“, sagt der spanische Star-Regisseur im KURIER-Gespräch: „Die Idee, dass etwas Lebendiges stirbt, kann ich mit meinem Verstand nicht akzeptieren.“
In dieser Hinsicht geht es dem Regisseur genauso wie seiner Hauptfigur Ingrid in seinem neuen, prachtvollen Melodram „The Room Next Door“ (ab Freitag im Kino). Ingrid, hinreißend gespielt von Julianne Moore, ist eine erfolgreiche Schriftstellerin. In ihrem gerade neu erschienenen Buch setzt sie sich mit ihrer immensen Todesangst auseinander und schreibt bei einer Buchpräsentation in New York ihren Fans Widmungen ins Exemplar. Ob sie durch das Schreiben gelernt habe, den Tod zu akzeptieren, will eine junge Frau wissen.
„Nein“, sagt Ingrid wie aus der Pistole geschossen.
Pedro und Ingrid
„Ich bin wie Ingrid“, sagt Pedro Almodóvar: „Sie ist die Figur in meinem Film, die mir am nächsten steht. Sie ist davon inspiriert, wie ich selbst über den Tod denke.“
Bei der Buchpräsentation trifft Ingrid auf eine alte Bekannte, die ihr von der Erkrankung ihrer gemeinsamen Freundin Martha erzählt. Ingrid und Martha kennen sich aus ihrer Zeit als Journalistinnen, ehe Martha als Kriegskorrespondentin in der Weltgeschichte verschwand und sich die beiden Frauen aus den Augen verloren. Ingrid nimmt die Begegnung zum Anlass, um den Kontakt zu ihrer alten Freundin wieder aufleben zu lassen – und trifft nach langen Jahren erstmals wieder auf Martha.
Martha, ätherisch verkörpert von einer fast durchsichtigen Tilda Swinton, steht in starkem Gegensatz zur todesängstlichen Ingrid: Sie sieht ihrem Ende mit klarem Blick entgegen und besteht darauf, selbst zu bestimmen, wann sie ihr Leiden terminieren will. Nachdem Sterbehilfe in den USA verboten ist, hat sie im Darknet eine tödliche Pille bestellt, die sie in dem für sie richtigen Moment einnehmen möchte. Ihre Bitte an Ingrid: Sie dabei nicht alleine zu lassen, sondern ihre letzten Tage mit ihr zu verbringen – in „The Room Next Door“.
Recht auf den eigenen Tod
Almodóvar hat den Roman „Was fehlt dir“ von der US-Autorin Sigrid Nunez adaptiert: „Allerdings habe ich mir alle Freiheiten genommen. An der Vorlage haben mich zwei Dinge interessiert: Die Begegnung der Frauen im Spital und die Bitte von Martha, beim Sterben begleitet zu werden.“
Gleich vorweg: Pedro Almodóvar ist ein Befürworter von Sterbehilfe, wie sie in Spanien 2021 legalisiert wurde. Seiner Ansicht nach hat jeder Mensch ein Recht darauf, bei schweren Krankheiten und unerträglichen Schmerzen seinem Leben ein Ende zu setzen: „Gerade für religiöse Menschen ist Sterbehilfe ausgeschlossen, weil sie der Ansicht sind, nur Gott kann über Leben und Tod entscheiden. Ich finde aber, dass jeder so eine Entscheidung für sich persönlich treffen muss. Dieses Thema wird besonders dann sehr politisch, wenn sich extreme rechte Kräfte dagegen aussprechen. Für mich aber ist die Befürwortung von Sterbehilfe eine Frage des Respekts vor einem anderen Menschen.“
Aber keine Sorge: Der Mann von La Mancha, der mit knallbunten, queeren Filmen wie „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ legendär wurde, seine Stammschauspieler Antonio Banderas und Penélope Cruz berühmt machte und zwei Oscars für „Alles über meine Mutter“ und „Sprich mit ihr“ erhielt, mag im Alter von 75 Jahren vielleicht über das Sterben nachdenken. Aber „The Room Next Door“ ist alles andere als weinerliches Betroffenheitskino: „The Room Next Door“ feiert die Schönheit des Lebens. Jedes Bild ist ein Freudentaumel für die Augen, komponiert in wunderbaren Farben und durch das innige Zusammenspiel von Tilda Swinton und Julianne Moore auf den Gipfel exzellenter Schauspielkunst gehoben: „Ich wollte nicht, dass sich ein düsterer Schleier über meinen Film legt. Er sollte stattdessen kraftvoll sein, und vor allem auch Tildas Figur Martha in ihrer Vitalität zeigen. ,The Room Next Door‘ ist ein leuchtender Film. Und er ist auch ein optimistischer Film, weil er von jemanden handelt, der eine Entscheidung für sich selbst getroffen hat. Julianne Moores Figur Ingrid verändert sich im Lauf der Handlung, sie ist beeindruckt von Marthas Stärke und lernt von ihr, im Moment zu leben und dabei jeden Augenblick zu genießen.“
Frühe Jahre
Pedro Almodóvar wurde 1949 in der Region La Mancha geboren und erhielt eine religiöse Erziehung, die ihn den Glauben an Gott verlieren ließ, wie er später erzählte. Schon in der Schulzeit entdeckte er das Kino, mit 16 ging er alleine nach Madrid
23 Filme
Almodóvar drehte bislang 23 Filme. Nach zwei englischsprachigen Kurzfilmen, darunter „The Human Voice“ (2020) mit Tilda Swinton, wagte er mit „The Room Next Door“ seinen ersten, englischsprachigen Langfilm und erhielt dafür den Goldenen Löwen in Venedig
Karriere
Seinen Durchbruch feierte er mit „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ (1988).
Seine Filme „Alles über meine Mutter“ und „Sprich mit ihr“ gewannen einen Oscar. Weitere Hits: „Volver – Zurückkehren“, „Parallele Mütter“ u. a. Pedro Almodóvar ist eine Ikone des queeren Kinos
Quellen der Freude
Bislang hat Almodóvar, abgesehen von zwei Kurzfilmen, nie auf Englisch gedreht. „The Room Next Door“ ist sein erster englischsprachiger Langfilm: „Ich habe mich oft geweigert, in Hollywood oder auf Englisch zu drehen, weil ich mit meiner Produktionsfirma ganz anders arbeite als in Hollywood üblich. In diesem Fall aber konnte ich den Stoff, der in New York spielt, zu meinem eigenen machen.“ Apropos New York: Auch der in Brooklyn geborene John Turturro hat einen Kurzauftritt in „The Room Next Door“, in dem er sich darüber beklagt, dass er mit fortschreitendem Alter zunehmend sein Interesse an Dingen verliere.
Geht es ihm auch so?
„Absolut nicht.“
Pedro Almodóvar klingt beinahe empört: „Ich gehe vielleicht nicht mehr zwei Mal pro Woche ins Kino, aber ich lese ununterbrochen. Ich kann vielleicht nicht mehr wie noch in den 1980er-Jahren wilde Partys feiern und am nächsten Tag zur Arbeit gehen. Ich muss mich entscheiden, wie ich meine Zeit verbringe, und ich entscheide mich fürs Filmemachen und fürs Schreiben. Es gibt immer noch viele Quellen der Freude in meinem Leben.“
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