Biografie, ein Spiel: Nichts ist so wirklich wie der Zufall

Biografie, ein Spiel: Nichts ist so wirklich wie der Zufall
Der US-Schriftsteller Paul Auster starb 77-jährig in Brooklyn an den Folgen seiner Lungenkrebserkrankung. Ein Nachruf

In „Stadt aus Glas“, 1985 veröffentlicht, kommt Quinn zur Erkenntnis, dass nichts wirklich sei „außer dem Zufall“. Viele Jahre später, in „Das rote Notizbuch“, erklärt Paul Auster, dass er von einer falschen Nummer zu seinem ersten Roman inspiriert worden sei: „Als ich eines Nachmittags allein in meiner Wohnung in Brooklyn am Schreibtisch saß und zu arbeiten versuchte, klingelte das Telefon.“ Ein Mann wollte die Agentur Pinkerton sprechen. Auster antwortete, er hätte sich verwählt. Am nächsten Tag wiederholte sich der Dialog. Doch nach dem Aufhängen des Hörers war die Neugierde geweckt: Auster erhoffte einen dritten Anruf, um den Grund erfragen zu können. Vergeblich. Also erfand er ihn.

In dieser kleinen Begebenheit steckt fast alles, was Paul Auster ausmacht: In vielen seiner Romanen spielt der Zufall eine entscheidende Rolle. Und viele spielen in New York, meist in Brooklyn. Paul Auster war so etwas wie ein „Stadtschreiber“. Auch seine Drehbücher – darunter „Lulu on the Bridge“ – spielen in New York. Und in Wayne Wangs Brooklyn-Film „Smoke“ erzählt Auggie, verkörpert von Harvey Keitel, eine unglaublich berührende Weihnachtsgeschichte.

Buch der Illusionen

Sie basiert natürlich auf einem Zufall. Und auf Illusionen. Auf Zauber und Verzauberung. „Die Musik des Zufalls“ heißt einer von Austers Romanen, „Das Buch der Illusionen“ ein anderer. Und „Mr. Vertigo“ muss man auch erwähnen. Das Unvorhergesehene bietet jedenfalls immer wieder die Möglichkeit für Reflexionen über Kunst, Identität, Leben und Tod.

Geboren wurde Paul Auster am 3. Februar 1947 als Sohn jüdischer Einwanderer in Newark (New Jersey). Schon als Teenager wollte er Schriftsteller werden, er studierte Literatur, ging mehrere Jahre nach Paris, traf Samuel Beckett, hielt sich, zurück in den USA, mit Übersetzungen über Wasser. Die erste Ehe zerbrach. Mit der „New York-Trilogie“ (experimentelle Krimis, inklusive „Stadt aus Glas“) gelang ihm schließlich der Durchbruch.

Eine Begebenheit, die sich auf sein unermüdliches Schaffen auswirkte, war ein schwerer Autounfall, bei dem die nicht minder erfolgreiche Siri Hustvedt, seine zweite Frau, aus dem Wrack geschnitten werden musste. Donald Trump war ein Monster für ihn: „Ich ertrage den Mann nicht. Er hat ein Vokabular von 16 Wörtern, sagt jeden Satz doppelt und jeder ist gelogen.“ Und große Sorgen bereitete ihm Sohn Daniel, der wegen Diebstahls im Gefängnis saß und im April 2022 durch eine Überdosis Drogen mit 44 Jahren starb.

Wenige Monate später wurde bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert. Zuvor, 2017, war sein monumentalstes Werk erschienen: In dem mehr als 1.000 Seiten langen Roman „4 3 2 1“ erzählt er eine Lebensgeschichte in vier Variationen. Die Biografie: ein Spiel. Ein Gedankenspiel. „Baumgartner“, 2023 veröffentlicht, sollte sein letztes Buch sein: Am 30. April starb Auster daheim in Brooklyn an den Folgen der Krebserkrankung.

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