"Parsifal" an der Staatsoper: Neuregelung des Karfreitagszaubers
Weißt du denn nicht, singt Gurnemanz im „Parsifal“, welch heil’ger Tag heut ist?
Die Antwort ist heute vielleicht leichter als zu Wagners Zeiten: Es ist, bei rechtzeitiger Vereinbarung mit dem Arbeitgeber, Zeit für den persönlichen Karfreitagszauber.
In der Staatsoper gibt es, wie alljährlich rund um Ostern, wieder Wagners Bühnenweihfestspiel. Und das birgt einen nicht unwichtigen Hinweis, vielleicht zur Erinnerung: Mitleid, das „heilige Sehnen“ (Wagner), ist das unmittelbare Erleben des Leides eines anderen. Woraufhin man gemeinhin den Versuch unternimmt, diesem Schmerzentragenden oder Schutzsuchenden zu helfen.
Darum geht es im „Parsifal“ (wir ergänzen hier ein „auch“, damit wir keine bösen eMails von sich sehr, sehr gut auskennenden Wagnerfans bekommen): Parsifal erkennt durch eine Mitleidseingebung das Leid von Amfortas und kann ihn dadurch erlösen; das Ganze wird ihm ausgerechnet während eines Kusses mit Kundry klar, was die anfangs gar nicht freut.
Anfang und Ende
Das Ganze (und vieles, vieles mehr) ist verpackt in außergewöhnlich wundervolle Musik, die Anfang und Ende ist, und wenn das an das Alpha und das Omega erinnert, dann ist das kein Zufall: Wagner hat in seinem letzten Bühnenwerk vieles der Operngeschichte beendet und anderes vorauspräsentiert. Diese Musik ist auch als Liebeserweckung bezüglich des Operngenres an sich bestens geeignet. Dafür lohnt es sich, die mentale Fünfeinviertelstundenhürde zu nehmen; und es war am Donnerstagabend in der Staatsoper eh kürzer als angekündigt.
Dirigent Valery Gergiev war in weniger als fünf Stunden fertig. Wer angesichts eines beim Russen zu erwartenden Klangspektakels mit angelegten Ohren kam, konnte die aber nach und nach wieder ausklappen.
Gergiev bot einen grüblerischen, erlösungszögerlichen „Parsifal“, der kontrollierte Detaildramaturgien über das musikalische Durchputzen stellte. Das war in Hinblick auf die bei so langen Aufführungen wichtige Aufmerksamkeitsökonomie gut; man kam als Hörer nicht ins riskante Ausruhen, das oft ja auch im Ausklinken endet.
Es versagte aber dem Publikum jenes Bade, das sich auch Amfortas zur Linderung seiner Schmerzen erbat; diesfalls halt im sonst oft warm eingeschenkten Wagnerklang. Der wurde hier momentweise schockgefroren.
Glücklich Erlöste
Wer so was kann, konnte seine Ohren aber zur Bühne richten. Denn das Sängerensemble scherte sich erfreulich wenig um irgendwelche Papierform-Einschränkungen.
Ihr Staatsopern-Rollendebüt als Kundry gab Elena Zhidkova auf höchst überzeugende Art; sie war bei der Verführungsszene ganz Urteufelin (sorry, steht so im Libretto), im dritten Aufzug dann staunend glücklich Erlöste. Sie gab den großen Monologen im zweiten Aufzug Biss und der Kundry insgesamt jene Zeitgemäßheit, die dieser schwierigen Frauenrolle oft fehlt.
Die ließ Simon O’Neill in der Titelpartie im Darstellerischen vermissen. Er sang aber würdig; wie er das „Erlöse/Rette mich“ im jeweils letzten Moment vom Leidensimperativ ins Gnadengesuch drehte, bleibt im Kopf.
Die aufführungswichtigste Männer-Rolle ist aber eh eine andere: Mit dem Gurnemanz steht und fällt der Abend. Und hier wurde gut gepunktet: René Pape war herausragend.
Thomas Johannes Mayer (jüngst als Orest zu sehen) stieg darstellerisch voll drauf – was aber funktionierte: Er war ein zitternder, verzweifelter Amfortas, der anrührte.
Was der Inszenierung von Alvis Hermanis hilft: Die versetzt das Ganze in die Wienerische Irrenanstalt und ist jetzt schon als Bürde gealtert.
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