Pablo Larraín: Ein Cocktail namens Neruda

Luis Gnecco brilliert als Pablo Neruda in dem facettenreichen Porträt „Neruda“
Regisseur Pablo Larraín und Gael García Bernal im Gespräch über ihren Film zu dem chilenischen Dichter.

Pablo Larraín mag keine konventionellen Biopics. Es interessiert ihn nicht, die Lebensgeschichten anderer Menschen von Anfang bis zum Ende zu erzählen. Wenn er es doch tut, dann anders.

In "Jackie", seinem drei Mal für den Oscar nominierten Porträtfilm, lässt der chilenische Regisseur Natalie Portman als Kennedy-Witwe halluzinatorisch das Begräbnis ihres Mannes planen.

In "Neruda" verweigert er sich ebenfalls dem strengen Korsett der Realität. Stattdessen entwirft er ein facettenreiches, exzentrisches Bild des chilenischen Poeten, Politikers und Nobelpreisträgers Pablo Neruda (siehe unten); und erzählt aus der Perspektive eines fiktiven, nicht sehr smarten Polizisten, der im Auftrag der chilenischen Regierung Jagd auf den Poeten macht.

Der mexikanische Star-Schauspieler Gael García Bernal spielt diesen Polizisten und unterhält sich im KURIER-Gespräch mit Regisseur Larraín darüber, wie er sich der Figur des Pablo Neruda annäherte und warum ihn dessen leiernde Vortragsstil zum Lachen brachte.

KURIER: Herr Larraín, sind Sie als Chilene mit der Poesie von Pablo Neruda aufgewachsen?

Pablo Larraín: Ja, natürlich.

War Ihnen von Anfang an klar, dass Sie keine konventionelle Biografie erzählen wollen?

Pablo Larraín: Eigentlich nein. Ursprünglich wollte ich sogar ein etwas traditionelleres Biopic erzählen, doch dann hat der Film immer mehr literarische Form angenommen. Am Ende wollte ich weniger einen Film über Neruda, als vielmehr einen "nerudischen" Film machen – also einen Film, der etwas über Nerudas Universum erzählt. Der spielerische Zugang hat mir sehr geholfen, denn Neruda lässt sich in keine Schublade stecken. Deswegen bezeichne ich meinen Film auch gerne als Anti-Biopic.

Inwiefern hat sich während der Dreharbeiten Ihr Blick auf Neruda geändert?

Gael García Bernal: Ich habe Neruda nur in der Schule gelesen und dann nie wieder. So gesehen hatte ich kein besonders klares Bild von ihm. Aber was mir jetzt am meisten imponiert, ist seine unfassbare Vielseitigkeit: Neruda war nicht nur Politiker und Dichter, er konnte auch unglaublich gut kochen, mehrere Sprachen sprechen, sich mit den Menschen zu jedem Thema unterhalten, er reiste viel, hatte viele Freunde – er konnte also mehrere Leben gleichzeitig leben. Und er konnte aus dem Nichts heraus wunderbare Gedichte schreiben, egal, ob der Anlass ein Tisch oder der Präsidentschaftskandidat war.

Heute ist es kaum noch nachvollziehbar, dass ein Poet so einen unglaublichen politischen Einfluss nehmen konnte.

Pablo Larraín: Ja, damals konnte man Politik und Poesie miteinander verbinden. Wenn Neruda ein Gedicht gegen den chilenischen Präsidenten schrieb, war dieser unglaublich angepisst. Heute wäre das undenkbar: Stellen Sie sich vor, Sie schreiben ein Gedicht gegen Trump oder gegen Angela Merkel. Das wäre jedem so egal. Gael García Bernal: Die einzige Ausnahme, die mir einfällt, ist der französische Philosoph Alan Badiou. Ich habe den Eindruck, dass sich Politiker tatsächlich bei ihm Rat holen.

Wenn Luis Gnecco als Neruda Gedichte rezitiert, bekommt er einen sehr theatralischen, leiernden Tonfall. Haben Sie sich stark am Original orientiert?

Pablo Larraín: Ein Cocktail namens Neruda
Neruda
Pablo Larraín:Unbedingt, wir wollten, dass er so klingt wie Neruda. Für uns ist sein Tonfall so vertraut wie Bob Dylan für die Amerikaner. Für fremde Ohren klingt Luis Gnecco so, als wollte er sich über Neruda lustig machen, aber er hat tatsächlich so gesprochen. Gnecco imitiert Neruda nicht, sondern sucht nach einer Ähnlichkeit. Er verleiht seiner Stimme einen bestimmten Rhythmus, der den gesamten Film bestimmt, auch die Art und Wiese, wie wir gedreht haben: Deswegen ist die Kamera auch andauernd in Bewegung und folgt den einzelnen Figuren.

Gael García Bernal:Nerudas Stimme ist wirklich speziell. Als ich ihn das erste Mal im Original hörte, dachte ich, oh nein, das klingt ja furchtbar (verfällt grinsend in einen leiernden Singsang). Aber mittlerweile finde ich es toll, vor allem die Musikalität seiner Sprache. Am liebsten würde ich die ganze Zeit Neruda rezitieren.

Am Ende, wenn der Polizist Neruda durch den Schnee verfolgt, fühlt man sich wie in einem Western.

Pablo Larraín:In gewisser Weise ist es ein Film über Filme: Er hat einen Hauch von Noir mit seinen Rückprojektionen, es ist ein Road-Movie und letztlich auch ein sehr existenzialistischer Western. Es ist eine Kombination von vielen Dingen, und dieser Cocktail heißt Neruda.

Sie legen außerdem nahe, dass die Regierung Jagd auf Neruda macht, ihn in Wahreit eigentlich aber gar nicht wirklich fassen will.

Pablo Larraín: Dieser Aspekt hat in Chile eine große Diskussion ausgelöst und Menschen, die damals gelebt haben, schrieben uns in Briefen, wir hätten Unrecht. Andererseits ist es schon seltsam: Obwohl Neruda von einer unglaublichen Menge von Menschen gesucht wurde, feierte er seine Partys und ging in der Stadt spazieren. Darüber hinaus stellt sich schon die Frage: Was hätte sie mit ihm im Gefängnis machen sollen? Pablo Neruda war ein Superstar. Das wäre völlig inakzeptabel gewesen.

Gabriel Garcia Marquez nannte ihn einmal "den größten Dichter des 20. Jahrhunderts – egal in welcher Sprache". Pablo Neruda (ein Künstlername, den er sich später auch in den Pass schreiben ließ), begann schon als Zehnjähriger mit dem Schreiben. Er dichtete (surrealistisch), er schrieb politische (kommunistische) Manifeste und saß für die Kommunisten im chilenischen Senat. Solcherart mit absoluter Immunität ausgestattet, geißelte er Staatspräsident González Videla derart, dass dieser ein eigenes Gesetz erließ, um seine Kritiker mundtot machen zu können. Der Künstler und Politiker (damals gab es diesen intellektuellen Spagat noch vermehrt), flüchtete daraufhin aus dem Land, zu Pferde über einen Schmugglerpfad in den Anden.

Picasso als Fluchthelfer

Während ihn das Regime in Chile vermutete, machte er international Furore: Neruda tauchte unter Mithilfe von Pablo Picasso wie aus dem Hut gezaubert in Paris auf, wo er einen Friedenskongress besuchte, während sein Heimatland behauptete, er sei sicher noch in Chile.

Sein großes Werk, der "Canto General" ("Der große Gesang") entstand in Teilen bereits 1938, er vervollständigte ihn auf der Flucht, als er sich in den Weiten Chiles von der Landschaft zu einer Art Gesamtsicht auf Lateinamerika inspirieren ließ. Als Neruda 1971 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, wurde "Canto General" vom Komitee besonders herausgehoben: "Für eine Poesie, die mit der Wirkung einer Naturkraft Schicksal und Träume eines Kontinents lebendig macht."

Auf Deutsch erschien "Canto General" erstmals 1953 – im DDR-Verlag "Volk und Welt". 1970 sollte er als Präsident kandidieren, unterstützte aber Salvador Allende. Im faschistischen Pinochet-Regime starb er nach einem Krebsleiden. Hartnäckig hielten sich Gerüchte, er sei im Krankenhaus ermordet worden.

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