Otto Schenk im Interview: "Das Sterben hat mir Freude gemacht"
Am 25. März hat im ORF die Komödie „Vier Saiten“ Premiere. Die Produktion, von Programmdirektorin Kathrin Zechner initiiert, ist eine Verbeugung vor Otto Schenk, der in drei Monaten, am 12. Juni, 90 wird.
Es geht um die Begegnung eines grantelnden Wieners mit einem jungen Syrer (Omid Memar) – und um ein Cello. Regie führte Michael Kreihsl, mit dem Schenk bereits den Episodenfilm „Liebe möglicherweise“ (2016) realisiert hat: „Das Thema damals war die Einsamkeit. Ein Vater nervt den Sohn mit Telefonaten. Ich hab’ dem Otti das Buch geschickt – und nicht im Geringsten damit gerechnet, dass er zusagt. Aber er antwortete mir: ,Das Buch ist recht poetisch, das mach ich.‘“
Nun folgte eine Geschichte über die Musik „als internationale Sprache, die keine Übersetzung braucht und die uns alle verbindet“. Schenk soll bei den Dreharbeiten recht hohes Fieber gehabt haben. Aber das ganze Team sei, sagte er, „wie ein göttliches Spital“ gewesen: „Ich bin geheilt entlassen worden.“
Der KURIER besuchte Schenk vor wenigen Tagen in dessen Wohnung. Der Schauspieler saß auf dem Sofa in seiner riesigen, bis obenhin vollgestopften Bibliothek und blickte zu uns hinauf: „Verzeihen Sie mir, dass ich nicht aufstehe. Wie Sie sehen, ich habe jetzt einen Stock.“
KURIER: Natürlich. Aber wenn es die Arbeit erfordert, wie in Ihrem neuen Film, können Sie zum Glück noch immer alles. Auch laufen.
Otto Schenk: Nicht alles. Der Salto lässt zu wünschen übrig.
Bei diesem Satz denkt man unweigerlich an Ihr Solo „Die Sternstunde des Josef Bieder“. Das war Ihre artistische Höchstleistung, oder?
Vielleicht, ja. Andererseits: Einmal wurde ich mit einem Auto untergetaucht und musste dann unter Wasser aussteigen. Das war ein Mordversuch an mir.
Erzählen Sie!
Das war eine Live-Sendung mit Heinz Fischer-Karwin, sie hieß „Gutes Benehmen leicht gemacht“ oder so ähnlich. Das Auto wurde im Stadionbad an einem Kran hängend in ein Becken gelassen. Man musste warten, bis das Wasser bis oben hin gestiegen ist. Denn sonst hätte man die Tür net aufgebracht. Und dann bin ich rausgetaucht. Aber ich bin dann nochmals zurück. Um einen Regenschirm mitzunehmen.
In unserem letzten Interview, vor vier Jahren, sagten Sie: „So lange was von mir verlangt wird, liefere ich.“ Das gilt weiterhin?
Nicht mehr ganz. Jetzt möchte ich schon zu liefern aufhör’n.
Die Passage geht aber noch weiter: „Und so lange was verlangt wird, hab’ ich das Gefühl, dass ich lebe.“
Ja. Aber wenn man nicht mehr arbeiten kann, stirbt man. Es gibt nichts mehr: kein Projekt, keine Wünsche, keine Kraft. Es gibt Garnichts. Und alles, was man macht, macht man trotzdem – und aus Übermut.
Sie lassen sich also doch immer wieder überreden.
Ja. Ich bin a bissl charakterlos.
Wie ist es Herrn Kreihsl gelungen, Sie zu motivieren?
Er hat ja schon einen Film mit mir gemacht. Wir hatten damals das Gefühl, nicht unseren Beruf auszuüben. Er war nicht Regisseur – und ich nicht Schauspieler. Da war die Sehnsucht nach einem zweiten Film erweckt.
Und nun hat Herr Kreihsl all das, was Sie interessiert, in die Figur des Musikprofessors gepackt.
Ja, er hat die Rolle verführerisch gestaltet, bevor er sie mir untergejubelt hat.
Ihre Figur ist auch ein Grantler.
Ich hab das Wort nicht sehr gern. Grantler? In der Literatur gibt es keinen Nicht-Grantler! Jede Rolle ist ein Grantler! Der Hamlet grantelt die ganze Zeit!
Wenn Sie ihn spielen.
Nein, jeder! Auch wenn der Laurence Olivier ihn spielt! Und auch der Othello ist ein Grantler!
Er ist eifersüchtig, unbeherrscht.
Das ist doch alles granteln! Und der Faust grantelt von Anfang an. Obwohl er ein anerkannter Mann ist, heißt Magister, ist Doktor gar. Ich behaupte, dass das Zweifeln an dem, was man ist, zum Theaterspielen dazugehört. Man sollte sowohl am eigenen Talent zweifeln, als auch an der Darstellung. Mir ist das Zweifeln viel leichter gefallen als das Talentiertsein.
Ist der Wiener Grantler nicht eine ganz spezielle Type?
Er kokettiert vielleicht damit.
Dieser doch recht mieselsüchtige Mann macht ungewollt Bekanntschaft mit einem Flüchtling, dem er dann das Cellospielen beibringt.
Der Film bekämpft das Vorurteil. Das ist wichtig! Und es kommt zu einer Art geistiger Adoption – über Schwierigkeiten und kriminalistische Situationen hinweg. Die Musik wirkt Wunder. Viel mehr möchte ich gar nicht verraten. Das war so wunderbar in diesem Film: Wie leicht man mit ernsten Themen umgehen kann. Humor ist ja nichts anderes als das Erkennen der Blamage. Die Tragödie führt, wenn sie gut gespielt wird, beim Zuschauer zu einer Erschütterung, zu einem Mitleid oder vielleicht, wenn man Glück hat, sogar zu einem Weinen. Aber die Komödie, die genauso ernsthaft gespielt werden muss, ist die Blamage, das Draufzahlen. Der Film ist auch wunderbar zu spielen gewesen.
Inwiefern?
Michael Kreihsl wollte immer wieder, dass wir eine Szene wiederholen. Ich sagte: „Ich mach’s gern hundertmal, aber ich muss wissen, warum ich’s noch einmal machen soll.“ Und dann hat er mir ein Zuckerl in den Mund gesteckt, das ich gerne gefressen habe.
Sie lassen sich noch immer etwas erklären? Auch von Jungen?
Naja, so jung ist er nicht. Und ich lass mir von jedem was erklären! In der Josefstadt gab es einen Bühnenarbeiter, den ich jedes Mal nach der Hauptprobe g’fragt hab: „Also, was is? Wo samma z’lang?“ – „Otto, ich sog Dir ganz ehrlich: Praktisch is ollas z’lang.“ Damit kann man nicht viel anfangen. Aber manchmal hat er mich auf wichtige Details hingewiesen.
Wenn Sie so begeistert von den Dreharbeiten erzählen: Vielleicht ergibt sich doch noch ein Projekt?
Also, ich möchte schwören, dass ich keinen Film mehr mache. Aber ich möchte nicht wetten.
Noch einmal auf die Bühne?
Auch nicht. Ich konnte mir auch den Tschechow nicht vorstellen.
Amelie Niermeyer inszenierte vergangenen Herbst in der Josefstadt den „Kirschgarten“, Sie spielten den Diener Firs. Es war berührend.
Man sagt.
Er wird zum Schluss im Haus vergessen und geht mit ihm unter.
Das Sterben hat mir Freude gemacht. Es ist eine schöne Szene, die man bedienen kann. Wenn man so sterben könnte!
Auf der Bühne sterben: Wäre das etwas für Sie?
Nein, zum Sterben brauch’ ich keine Bühne.
Kränkt es Sie sehr, dass die Kraft nachlässt?
Man muss den Sack der Bescheidenheit aufmachen. Und der ist leider nicht sehr groß. Aber ich muss mir keinen Vorwurf machen, wenig gemacht zu haben. Oder nur eine Sache. Ich hab’ sehr viele Werkln bedient: die Oper, das Burgtheater und die Josefstadt, Fernsehen, Bücher. Film hätte ich gerne mehr gemacht! Aber nur Rollen, die glaubhaft sind, die ich ohne Theatralik hätte spielen können. Ansonsten hatte ich genügend zu tun. Ich wüsste keine Oper oder kein Stück, das ich noch inszenieren möchte. Den „Faust“ hab’ ich mir nie zugetraut. Ich habe ihn geliebt, aber er ist mir zu ungeschickt geschrieben. Wie komm ich dazu, einem solchen Genie wie dem Goethe auf die Fiaß zu helfen und den „Faust“, den er nur als gewaltige Dichtung geschrieben hat, zum Theaterstück zu machen?
Ihre Operninszenierungen werden weiter gespielt. Macht das stolz?
Ja, verbunden mit der Angst, ob das übrig gebliebene Gerüst noch meine Ideen durchleuchten lässt. In der Staatsoper gibt es Gott sei Dank eine Abteilung mit wunderbaren Menschen, die meine Inszenierungen betreuen: Sie achten darauf, dass die neuen Sänger alles so umsetzen, wie ich es gesagt hab. Vor einiger Zeit sagte mir die Sängerin, die in meinem „Fidelio“ als Leonore besetzt war, dass sie zum ersten Mal die ganze Liebe zu Florestan in ihrer Arie durchleben konnte, weil sie meinen Raum zur Verfügung hatte. Dass der „Fidelio“ auch noch nach 30 Jahren etwas bewirkt: Das hat mich stolz gemacht.
Gehört der „Fidelio“ zu den Arbeiten, von denen Sie sagen: Da ist mir alles geglückt?
Nein, alles geglückt ist mir bei keiner Arbeit. Aber den größten Spaß hat „Die Fledermaus“ gemacht.
Langsam nähert sich ja Ihr 90. Geburtstag.
Da wühlen Sie in einer Wunde. Ich hab’ vor, einen Abend im Akzent zu liefern – einen Leseabend mit wirklich komischen Gedichten und Erzählungen und Witzen. Ich habe nichts Neues vor, nur Gutes. Und was drumherum mit mir geschieht: In diese Kreiselgeschichte werfe ich mich todesverachtend hinein.
Der Film „Vier Saiten“
Inhalt
Karl Michaeli (der Nachname ist eine Hommage an Schenks Ehefrau) lebt nach dem Tod seiner Frau allein. Zu seinem Missfallen sind im Haus mehrere Flüchtlinge untergebracht, darunter der 16-jährige Hamid. Nach anfänglichen Vorbehalten entdeckt der ehemalige Star-Cellist dessen musikalisches Talent und nimmt ihn unter seine Fittiche.
Produktion
„Vier Saiten“ basiert auf einem Drehbuch von Stefan Vögel, das von Regisseur Michael Kreihsl und Thomas Baum bearbeitet wurde. Mitwirkende: Otto Schenk, Omid Memar, Erwin Steinhauer, Marianne Mendt, Lukas Resetarits, Markus Schleinzer u.a. Die Komödie wird am 25. März 2020 um 20.15 Uhr in ORF 2 erstausgestrahlt.
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