Die Aufregung war groß und berechtigt, als Greta Gerwig für ihren Sommer-Blockbuster „Barbie“ keine Oscarnominierung in der Kategorie beste Regie erhielt. Trotzdem lässt sich insgesamt positiv festhalten: In 19 Kategorien der 96. Oscarpreisverleihung liegt die Quote der nominierten Frauen heuer bei 32 Prozent. Das ist nach Hollywood-Standards hoch.
Die Oscar-TV-Übertragung beginnt Sonntag mit dem roten Teppich auf ORF 1 ab 23.30 Uhr, die Gala startet um 0.00 Uhr. Auch Pro 7 überträgt live.
Im Feld der Nominierten für die beste weibliche Hauptrolle drängen sich ganz besonders exquisite Talente. Nachdem die souveräne Lily Gladstone als gequälte Ehefrau in Martin Scorseses „Killers of the Flower Moon“ überraschend als beste Hauptdarstellerin nominiert wurde, wird es eng für Emma Stone. Sie galt als klare Favoritin für ihre unvergleichliche Rolle als Bella Baxter in Yorgos Lanthimos’ Groteske „Poor Things“: Als entfesselte viktorianische Frau mit dem Gehirn eines Babys schien sie unschlagbar. Doch mit Gladstone als Konkurrentin wurden die Karten neu gemischt.
Auf einem Höhepunkt ihrer Karriere befindet sich auch die herausragende deutsche Schauspielerin Sandra Hüller: Nominiert für ihre Rolle als mordverdächtige Ehefrau in dem Thriller „Anatomie eines Falls“, könnte für sie ein Wunder wahr werden. Allein, dass sie als nicht-englischsprachige Schauspielerin als beste Hauptdarstellerin nominiert wurde, ist eine Seltenheit. Würde Hüller gewinnen, wäre dies eine Sensation. Prominent zu sehen ist sie auch als Nazi-Ehefrau Hedwig Höß in Jonathan Glazers Auschwitz-Drama „The Zone of Interest“, unter anderem nominiert in der Kategorie bester Film.
Die besten Hauptdarstellerinnen im Porträt
Sandra Hüller: Berühmt geworden mit „Toni Erdmann“, ist die exzellente deutsche Schauspielerin nominiert für ihre Rolle als mordverdächtige Autorin im Thriller „Anatomie eines Falls“. Zu sehen ist sie auch als Nazi-Ehefrau in „The Zone of Interest“
Annette Bening: Die 65-jährige Amerikanerin ist eine Veteranin Hollywoods und verheiratet mit Warren Beatty. In dem Bio-Pic „Nyad“ verkörpert sie Schwimmerin Diana Nyad, die von Kuba nach Florida schwimmen will
Emma Stone: Die unvergleichliche Emma Stone ist seit „La La Land“ Oscarpreisträgerin und spielt in der Groteske„Poor Things“ des Griechen Yorgos Lanthimos eine junge viktorianische Frau, der man das Gehirn eines Säuglings eingepflanzt hat.
Lily Gladstone: Souverän behauptet sich die Schauspielerin in der Männerwelt von Martin Scorsese und wird in „Killers of the Flower Moon“ vom eigenen Ehemann langsam vergiftet. Sollte sie einen Oscar erhalten, wäre sie die erste indigene Gewinnerin
Carey Mulligan: Auch wenn Bradley Coopers Porträt von Leonard Bernstein „Maestro“ heißt, spielt die Britin Carey Mulligan darin eine Hauptrolle. Als Ehefrau des berühmten Dirigenten durchleidet sie seine sexuellen Eskapaden mit Würde
Die besten Nebendarstellerinnen im Porträt
Emily Blunt: In Christopher Nolans Männerfilm „Oppenheimer“ spielt Emily Blunt nur eine kleine, aber dafür höchst einprägsame Rolle als die kämpferische, aber auch sehr geprüfte Ehefrau von Robert Oppenheimer
Danielle Brooks: In der Musical-Adaption von „Die Farbe Lila“ sticht Danielle Brooks als rebellische Schwiegertochter Sofia aus dem Ensemble: Ihrem prügelnden Partner schleudert sie ein stimmgewaltiges „Hell No!“ entgegen und verlässt den Haushalt
Da’Vine Joy Randolph: Die Musicaldarstellerin und Schauspielerin Da’Vine Joy Randolph gibt Alexander Paynes Tragikomödie„The Holdovers“ die nötige emotionale Schwerkraft: Als Köchin eines Internats trauert sie um ihren Sohn, der im Vietnamkrieg fiel
America Ferrera: Margot Robbie wurde skandalöserweise nicht für ihr Spiel in „Barbie“ nominiert, dafür America Ferrera als beste Nebenrolle: Sie verkörpert eine Mattel-Angestellte, die eine umwerfende Rede über die Unmöglichkeiten des Frauseins hält
Jodie Foster: Die zweifache Oscarpreisträgerin ist, wie Kollegin Annette Bening, eine Veteranin Hollywoods: An deren Seite spielt sie in „Nyad“ die Freundin von Diana Nyad und unterstützt deren Versuche, von Kuba nach Florida zu schwimmen.
Schon seit Jahren versuchen sich die Oscars, ein neues Image zu geben, ausgelöst durch eine Kampagne, die anprangerte, dass die Filmpreise unverhältnismäßig von Weißen bestimmt waren – vor und hinter den Kulissen –, das Filmschaffen aber längst viel diverser ist. Angesichts rasant sinkender Einschaltquoten bei der Gala war das Bewusstsein rasch bei der Hand: Es muss sich etwas ändern. Was, das sieht man heute Abend das erste Mal. Oder besser: Man sieht es nicht.
Erstmals mussten jene Filme, die in der Königskategorie bester Film nominiert werden sollten, Diversitätsregeln erfüllen. Die sind ganz schön kompliziert, bestehen aus vier Haupt- und neun Unterkategorien. So müssen Minderheiten in zwei von vier Bereichen repräsentiert sein – auf der Leinwand, bei den Leitungsfunktionen hinter der Kamera, beim Marketing oder bei Ausbildungsprogrammen in den Studios. Weiters wird geprüft, ob der Filmplot Diversität in sich birgt oder ob die Jobausschreibungen für den Dreh minderheitengerecht sind.
Es mutet ein wenig wie eine unentschlossene Pointe an, dass nun der Favorit für den besten Film ausschließlich von weißen Männern handelt: „Oppenheimer“ kommt nicht übermäßig divers daher. Dennoch wurden hier die Anforderungen hinter der Kamera in einem solchen Ausmaß erfüllt, dass der Film ins Rennen gehen konnte.
Nicht allen in Hollywood gefällt es, dass der Kunstfreiheit vermeintlich hemmende Voraussetzungen übergestülpt werden: Richard Dreyfuss etwa findet die Regeln laut New York Times „zum Kotzen“.
Sonderlich stark angezogen scheinen diese Daumenschrauben jedenfalls nicht zu sein. Und die Oscars schaffen es verlässlich, in das eine oder andere Diversitätsfettnäpfchen zu tapsen. Heuer etwa beim Feminismus: So wurden weder die Hauptdarstellerin Margot Robbie noch die Regisseurin Greta Gerwig für den erfolgreichsten Film des Jahres, „Barbie“, nominiert, Ken-Darsteller Ryan Gosling – der Mann! – aber schon.
Statuette
Er geht fast auf die 100 zu und ist trotzdem der begehrteste Mann Hollywoods: Oscar, die Goldstatuette mit dem nackten Oberkörper. Sie wiegt 3,8 kg
Die erste Preisverleihung
Am 16. Mai 1929 wurden die von Cedric Gibbons, dem Leiter des Art Departments bei MGM, entworfenen Statuetten erstmals vergeben. Oscar hieß damals noch nicht Oscar: Die Academy verwendete den Kosenamen zum ersten Mal 1939
Erste TV-Übertragung
Erstmals live im Fernsehen wurden die Oscars 1953 übertragen. Der spätere US-Präsident Ronald Reagan moderierte und erzielte die bis dahin höchste Einschaltquote seit der Einführung des TV
Quoten im Hoch und Tief
Lange war die Oscar-Gala ein verlässlicher Quotenbringer, dann begannen die Zuschauerzahlen zu sinken. Tiefpunkt: 2021 mit 10,4 Millionen US-Zusehern. 2023 ging der Trend mit 18,7 Millionen wieder deutlich nach oben
Die Favoriten
Der Mann der Stunde heißt bei der diesjährigen Oscar-Gala Christopher Nolan. Sein hochgepriesenes Bio-Pic „Oppenheimer“ liegt mit 13 Nominierungen im Spitzenfeld. Wenn in der Nacht auf Montag zum 96. Mal die Oscars vergeben werden, wird Nolan aller Voraussicht nach „The Winner Takes It All“ sein. Der 53-jährige Brite gilt mit Kassenschlagern wie „The Dark Knight“, „Inception“, „Interstellar“ und „Dunkirk“ als bester Blockbuster-Regisseur seiner Generation, hat aber trotz mehrfacher Nominierungen bisher noch nie einen Oscar erhalten.
Das wird sich heuer ändern: Läuft alles nach Plan, gewinnt Nolans Drama mit Cillian Murphy als Erfinder der Atombombe sowohl den Preis für bester Film als auch für beste Regie. Von den weiteren elf Nominierungen gar nicht zu reden.
Sollte „Oppenheimer“ in der Hauptkategorie bester Film gewinnen – und es sieht ganz danach aus – schlägt er damit so starke Konkurrenzfilme wie Greta Gerwigs Sommer-Sensation „Barbie“, die Frankenstein-Groteske „Poor Things“ von Yorgos Lanthimos oder Justine Triets Gerichtssaal-Thriller „Anatomie eines Falls“ aus dem Feld.
Überraschungen sind trotzdem nie ausgeschlossen: So könnte etwa Alexander Paynes nostalgisch-schönes Lehrer-Schüler-Drama „The Holdovers“ dem Platzhirschen ein Schnippchen schlagen und die Trophäe an sich reißen. Sehr wahrscheinlich ist es allerdings nicht.
Auch was die begehrte Kategorie beste Regie betrifft, steht Nolan in der Poleposition. Gegenwind erhält er von Martin Scorsese mit „Killers of the Flower Moon“, der Französin Justine Triet mit „Anatomie eines Falls“, Lanthimos’ „Poor Things“ und dem Auschwitz-Drama „The Zone of Interest“ des Briten Jonathan Glazer.
Der Siegeslauf von „Oppenheimer“ wird sich voraussichtlich auch in die Kategorie bester Hauptdarsteller verlängern: Cillian Murphy als blauäugiger „Vater der Atombombe“ wird seinen Eindruck auf die über 10.000 Academy-Mitglieder nicht verfehlen. Es sei denn, Schauspiel-Veteran Paul Giamatti bricht ihnen mit seinem Silberblick in „The Holdovers“ das Herz.
Als bester Nebendarsteller hat Robert Downey Jr. die besten Karten – natürlich für seine Rolle in „Oppenheimer“. Spannend könnte es in der Kategorie bester internationaler Film werden, wiewohl auch hier alle Zeichen auf Jonathan Glazers „The Zone of Interest“ stehen. Konkurrenz erhält er von Wim Wenders’ „Perfect Days“ und dem deutschen Schuldrama „Das Lehrerzimmer“ von İlker Çatak.
Promis, Präsentatoren, Politik
Der Hauptgewinner der Oscar-Preisverleihung steht schon so gut wie fest. Bleibt nur zu hoffen, dass zumindest der Gala-Abend – wenn schon nicht gröbere Überraschungen –, dann doch zumindest vergnügliche Einlagen bereithält. Und wir reden hier nicht von Kinnhaken.
Einen hohen Unterhaltungswert garantiert Ryan Gosling in seiner Paraderolle als Barbies Ken. Tatsächlich gelang es den Veranstaltern, Gosling dazu zu überreden, seinen Sommer-Hit „I’m Just Ken“ aus Greta Gerwigs „Barbie“ live zu singen.
Diese vielversprechende Performance wird dicht gefolgt von dem Auftritt von Billie Eilish mit ihrem „Barbie“-Lied „What Was I Made For?“ Beide Songs sind für einen Oscar nominiert – und Billie Eilish gilt als Favoritin.
Ein großes Star-Aufgebot ist auch in den Reihen der „Presenter“ angekündigt, die den Gewinnern die begehrten Preise überreichen werden und die TV-Einschaltquoten in die Höhe treiben sollen. Auf der Liste stehen Celebrities wie Michelle Pfeiffer, Al Pacino, Steven Spielberg, Zendaya, Ariana Grande – und der österreichische Oscar-Preisträger Christoph Waltz.
Sogar von Taylor Swift als Gast der Oscar-Gala war die Rede – doch ihre Anwesenheit ist höchst unwahrscheinlich.
Wenig Überraschendes lässt sich vom Gastgeber des glamourösen Abends erwarten: Zum vierten Mal wird Jimmy Kimmel durch den Abend führen.
Witzliste
Angeblich arbeitet ein ganzes Schreibteam fieberhaft an einer langen Witzliste, die der Comedian zum Besten geben kann. Talkshow-Veteran Kimmel gilt als Routinier, der weiß, wo er die Grenze zwischen Spaß und Beleidigung bei seinen prominenten Zuhörern ziehen muss. In jedem Fall kann man sich auf jede Menge „Barbenheimer“-Scherze gefasst machen.
Aber wie viele politische Statements darf man sich von dem Gala-Abend erwarten?
Wird es Seitenhiebe auf Donald Trump geben? Kritische Kommentare zum Gazakrieg, wie jüngst auf der Berlinale?
In der Kategorie bester Dokumentarfilm ist die Doku „20 Days in Mariupol“ nominiert, die von russischen Gräueltaten in der Ukraine berichtet. Sollte der Film, wie prognostiziert, gewinnen, wird der russische Angriffskrieg ein Thema werden.
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