Trendanalyse: Die Oscars im Zeitraffer
Die schräge Indie-Komödie "Grand Budapest Hotel" mit neun Nominierungen bei den Oscars? Das wäre doch vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar gewesen, oder? Um die Vergabe-Politik der Academy Awards zu beleuchten, lohnt ein Blick auf die Karriere des Regisseurs und Über-Nerds Wes Anderson. Wie kaum ein anderer versteht sich der Arthouse-Spezialist darauf, seinen Filmen die spezielle Indie-Ästhetik zu verpassen. "Wes-Anderson-Film" ist längst zum stehenden Begriff geworden.
Bei den Oscars war er dennoch lange nur zum Zuschauen verdammt. Mit "Die Royal Tenenbaums", "Moonrise Kingdom" und "Mr. Fox" war Anderson in den vergangenen Jahren zwar für die Kategorie "Bestes Drehbuch" gesetzt - gewinnen konnte er freilich nie. Und jetzt also gleich neun Nominierungen für "The Grand Budapest Hotel", ex aequo mit einem "Birdman", dessen Regisseur Alejandro González Iñárritu ebenfalls Wurzeln im Programmkino hat. Zufall, oder gelten bei den Oscars inzwischen wirklich andere Maßstäbe? Um diese Frage zu beantworten, werfen wir einen Blick auf die Gewinner der letzten 20 Jahre:
Hier finden Sie unser Special zur Oscar-Verleihung 2015
Am Sonntag werden die 87. Oscars vergeben. Der KURIER begleitet sie live durch die Oscar-Nacht.
Fazit: (Hochkarätige) Filme für den Massengeschmack - man erinnere sich an "Titanic", "Gladiator" oder "Herr der Ringe" - die in den 90ern die Oscars dominierten, finden sich in den vergangenen Jahren nicht einmal noch in den Nominierten-Listen. Dass die Oscars langsam "Indie" werden, ist also nicht von der Hand zu weisen. Ob man das jetzt unbedingt gut finden muss oder auch schlecht finden kann - Gert Korentschnig und Georg Leyrer haben sich da ihre Gedanken gemacht (siehe unten).
Oscar 2015: Ein guter Jahrgang?
Im vergangenen Jahr: Bester Film "12 Years a Slave" – naja.
Im vorvergangenen Jahr: Bester Film "Argo" – najanaja.
Und heuer: Bester Film hoffentlich "Grand Budapest Hotel". Das wäre das Allerschönste! Oder "Birdman". Das wäre das Zweitschönste!
Und bester Schauspieler möge unbedingt Michael Keaton werden, der in "Birdman" so grandios die Balance aus Humor und Traurigkeit trifft. Der als Filmschauspieler, der einmal wichtig war, ein großes Projekt auf der Broadway-Bühne realisiert.
Und Bester Nebendarsteller? Unbedingt Edward Norton, der große Könner, der nur noch auf der Bühne eine Erektion bekommt, weil es ja dort allzu oft darum zu gehen scheint, wer den Größeren hat. Beste Schauspielerin? Endlich Julianne Moore, die sich diese Auszeichnung schon längst verdient.
Sie merken schon: Der Autor dieser Zeilen hält das nun mit den Oscars zu kürende Filmjahr für ein erstklassiges. Dass so fabelhafte, in ihrer Anmutung europäische Filme wie "Grand Budapest Hotel" (leider nicht in Wien, sondern im Osten Deutschlands gedreht) und "Birdman" (möglicherweise der beste je gedrehte Film über das Metier Theater) gegeneinander antreten, macht riesige Hoffnung. Darauf, dass sich Hollywood nach dem wunderschönen und 2012 auch preisgekrönten Film "The Artist" künftig noch mehr um Qualität statt um Kommerz kümmert. Dass sich mehr und mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass Popcorn-Kino nur den Magen, nicht aber das Gehirn füllt. Dass die Qualität der Bücher regelmäßig über jene der Effekte gestellt wird.
Und dass man auch vor verschlungenen Wegen und riskanten Projekten nicht zurückschreckt. Bei nächster Gelegenheit reden wir dann über Mut in Österreich.
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Am Sonntag werden die 87. Oscars vergeben. Der KURIER begleitet sie live durch die Oscar-Nacht.
"Grand Budapest Hotel". "Birdman". "Boyhood". Es ist ein künstlerisch starker Jahrgang: Viele der Oscar-Favoriten versetzen die geneigten Kollegen Filmkritiker in wahre Euphorie. Aber die einhellige Filmfreund-Freude darüber ist kurzsichtig. Denn gerade die Nominiertenliste legt eine Strukturschwäche Hollywoods offen, die längst virulent geworden ist.
Und die sich bald zu einem gewaltigen Problem ausdehnen wird. Denn Hollywood hat den Blockbuster verlernt, und das ist fatal. Der Chef hat immer recht (siehe links), die letzten "besten Filme" waren nicht das Gelbe vom Film-Ei. Aber genau davon reden wir – wie der Blick ins letzte Jahrtausend zeigt. Denn bis zu den Nullerjahren hat Hollywood etwas vollbracht, was niemandem sonst gelang: Oscarwürdige Blockbuster, die viele Zuseher anlocken – und zugleich einen eigenen künstlerischen Wert mit Massenanspruch haben. "Forrest Gump", "Der englische Patient", "Braveheart", "Titanic" – das sind keine Filme, die man im Arthousekino andächtig nickend und ohne Popcorn anschaut. Aber es sind große Filme mit der richtigen Dosis Herz und Hirn. Die auch Geld bringen. Jetzt aber versagt Hollywood: Die letzten Jahre waren geprägt von Megaflops im Massenkino ("John Carter", "Lone Ranger"). Das einzige, das Geld bringt, sind Superheldenfilme. Was danach kommen soll, weiß niemand. Und nach schlechter Hollywood-Logik setzen die Studios alles auf diese Helden in Strumpfhosen. Die sind kaum Oscar-tauglich. Dementsprechend höher wird das Niveau bei den Oscars. Und dementsprechend schlechter geht es Hollywood. Denn ohne Blockbuster ist es nicht mehr das Hollywood, das die Oscars erfunden hat. Und vielleicht bald Geschichte.
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