Streep: "Ohne meine Familie wäre ich verrückt"

Bei der Berlinale wurde sie mit dem Ehrenbären ausgezeichnet. Nun könnte sie einen Oscar bekommen. Meryl Streep im Interview.

Zwei Wochen lang hat sie den britischen Akzent geübt – manche sagen, er sei englischer als jener von Margaret Thatcher. Sie sieht aus wie die "Eiserne Lady". Und sie bewegt sich genau so. Im Film von Phyllida Lloyd begeistert Meryl Streep mit einer grandiosen Studie. Im Gespräch ist sie sympathisch, top professionell, wohlüberlegt und formuliert druckreif.

KURIER: "Die Eiserne Lady" ist ein sehr persönlicher Film über Thatcher, ihre Familie, ihre Demenz und kein politischer Kommentar. Warum?
Meryl Streep: Weil es darum geht, was am Ende zählt. Was bleibt im Leben nach der Politik, nach der Macht?

Offenbar nur die Erinnerungen. Und in erster Linie die Familie. Thatcher wird hier als Frau gezeigt, die von ihrem Mann unterstützt wird. Wie ist es bei Ihnen: Wie sehr ist Ihr Mann für Ihren Erfolg verantwortlich?
Ich glaube, ich wäre komplett verrückt, wenn ich meine Familie nicht hätte. Die Eigenheiten des Lebens eines Schauspielers, diese Ups und Downs, das Reisen, eigentlich alles, was aus dem Business heute geworden ist – das ist für mich nur dank meiner Familie auszuhalten. Sie ist der zentrale Grund, warum ich am Leben bin.

Was sagt Ihr Mann, um Ihre Karriere immer wieder ins Gleichgewicht zu bringen?
Das Schwierigste ist stets der Anfang eines Filmes. Wenn es darum geht, wie man eine Rolle anlegt. Da sagt er immer: Fang einfach an, indem du anfängst. Das kann nur ein Künstler so sagen. Das ist ein wunderbarer Rat. Als Schauspieler ist man ja besonders empfindsam, auch bei Kritik. Da geht es immer um die eigene Persönlichkeit, um den eigenen Körper. Und es gibt es so viele Plätze, wo man attackiert wird, etwa im Internet. Man braucht viel Selbstvertrauen, um all das auszuhalten.

Eine Meryl Streep kennt auch Angstzustände?
Jeder ist ein lebendes Bündel pulsierender Angstzustände. Wenn man das nicht hat, ist etwas verdammt schiefgelaufen. Es geht im Leben auch um Ängste und deren Überwindung.

Sie haben Ihren ersten Oscar bekommen, als Thatcher Premierministerin wurde. Im Jahr Ihres zweites Oscars begann der Falkland-Krieg. Jetzt haben Sie Ihre 17. Nominierung für die Darstellung der Thatcher. Hat diese Nominierung daher eine spezielle Bedeutung für Sie?
Diese Parallelen sind mir nicht aufgefallen. Ich rechne ganz anders: 1979, als sie Premierministerin wurde, wurde mein Sohn geboren. Der Falklandkrieg war in dem Jahr, in dem meine Tochter geboren wurde.

Aber Sie müssen eine Meinung gehabt haben von Thatcher, als sie Premierministerin war. Für viele ist sie immer noch ein Symbol für sozialen Darwinismus.
Viele sagen: Sie habe große symbolische Bedeutung. Manchen ist sie zu rechts, anderen zu links. Aber ich frage mich: Wo bleibt sie selbst? Woraus resultieren ihre Handlungen? Und wie sieht es 25 Jahre danach mit diesen Entscheidungen aus?

Wie sieht es damit aus?
Als ich ihr Leben genau studiert habe, habe ich herausgefunden, dass sie in vielen sozialen Fragen sehr viel weiter links stand als amerikanische Konservative. Sie war für das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung in Abtreibungsfragen. Sie hat globale Erwärmung früher als andere thematisiert. Sie hat das Recht jedes Bürgers auf medizinische Versorgung erkannt und hätte das nie eingeschränkt. Wo sie sehr wohl eingriff: Mit den Privatisierungen. Damals war alles vom Staat kontrolliert: Telefon, Verkehr, Strom, Wasser. Ich erinnere mich an 1979. Da war ich für Dreharbeiten in England. Wir haben sechs Monate versucht, ein Telefon zu bekommen. Und es kam einen Monat nach Drehschluss.

Sie zeigen Thatcher im Film als besonders mutige Frau.
Das war sie definitiv. Sie besuchte einmal Präsident Bush in den USA. Ich sprach mit einer Frau, deren Vater im Raum war, ein Republikaner. Und sie erzählte, dass Thatcher auf Bush

zustürmte und ihn anbrüllte: Sie können nicht zulassen, dass die Abtreibungsgesetze politisch instrumentalisiert werden. Wie können Sie das wagen? Der Beobachter konnte nicht glauben, dass jemand so zum Präsidenten sprach.

Haben Sie persönliche Erinnerungen an Thatcher?
In meiner Erinnerung war sie vor allem eine Freundin von Ronald Reagan: Schlechte Kleidung, schlechte Frisur. Ich wusste sonst nicht viel über sie. Jetzt weiß ich mehr. Ich glaube nach wie vor, dass die mangelnde Vorbereitung auf ihre drakonischen Maßnahmen in Nordirland dazu führte, dass sich die Situation nie wieder erholte. Aber ihr Zugang zu Terrorismus war vielleicht richtig. Es war vielleicht richtig, dass England die Macht nicht abgab. Geschichte bewegt sich weiter, und man kann dann Menschen, die zu ihrer Zeit wie Drachen erschienen, in allen Dimensionen erkennen. Ich habe damals alles verknappt. Es ist ein Leben, das es wert ist, genau betrachtet zu werden. Es geht nicht nur darum, zu sagen: Hier lag sie falsch und hier richtig.

Gibt es Parallelen zwischen ihr und heutigen Politikern?
Viele kommen an die Macht mit ihrer riesigen Lobby hinter sich. Bei zwei war das nicht so: Bei Obama und bei Thatcher. Auch bei der Einzigartigkeit und Schwierigkeit ihrer Positionen gibt es Parallelen.

In einer Woche werden die Oscars vergeben. Sie haben zuletzt den Eindruck erweckt, dass Sie Viola Davis für ihre Rolle in "The Help" den Sieg wünschen ...
O ja. Ich würde mich mehr freuen, wenn sie gewinnt als über meinen eigenen Sieg. Sie ist wunderbar und verdient das. Sie sollte endlich in der ersten Reihe stehen.

Einer Ihrer schönsten Filme ist "Jenseits von Afrika". Woran erinnern Sie sich, wenn Sie daran denken?
An vieles. An Freunde, die nicht mehr am Leben sind wie Sydney Pollack. Auch wie schön es bei den Dreharbeiten war. Wir haben damals sechs Monate gedreht. Nicht 39 Tage wie zuletzt.

Zur Person: Rekordhalterin bei Oscar-Nominierungen

Die Biografie: Mary Louise ("Meryl") Streep wurde am 22. Juni 1949 in New Jersey geboren und gilt als eine der größten Schauspielerinnen aller Zeiten. Sie war 17-mal für den Oscar nominiert – damit ist sie Rekordhalterin vor Katherine Hepburn und Jack Nicholson (je 12). Zwei Mal hat sie ihn gewonnen: Für "Kramer gegen Kramer" (1979) und für "Sophie’s Choice" (1983). Sie war mit den Schauspieler John Cazale verheiratet, der im Alter von 40 Jahren starb. 1978 heiratete sie den Bildhauer Don Gummer, mit dem sie vier Kinder hat.
Der Film: In "Die Eiserne Lady" spielt Streep die an Demenz erkrankte Margaret Thatcher, die von 1979 bis 1990 Großbritanniens Premierministerin war – die erste Frau in einer solchen Position in Europa. Streep ist  dafür wieder Oscar-nominiert. Kinostart in Österreich: 1. März.

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