Wieder nur Zufall? Im Vorfeld sagte Kušej im APA-Interview: „Ich hoffe, mir gelingt es, Tennessee Williams und Ödön von Horváth in eine Querverbindung zu bringen.“ Das klingt dann schon ein wenig nach Absicht. Und weiter: „Das heißt, ich verzichte ganz auf die versteckten psychologischen Feinheiten der Figuren, sondern stülpe es gleich nach außen.“
Singender Sensenmann
Sein Feuer verschießt er aber bereits mit der Ouvertüre: Zum satten E-Gitarren-Riff seines Kärntner Spezis Oliver Welter dreht sich die (dank Videoprojektion) lichterloh brennende Bühne mit der komplexen, recht reizvollen Architekturruine von Annette Murschetz im Stil der 80er-Jahre mehrfach um die eigene Achse. Der Mastermind von Naked Lunch geistert als singender Sensenmann durch die gespenstische, unheilvolle 360-Grad-Szenerie. Und er wird es, weiß geschminkt in schwarzer Kutte, den Abend lang immer wieder tun. Orpheus war eben Sänger.
Kušej hält auch nicht viel davon, die Figuren vorzustellen oder das Publikum in den Konflikt einzuführen: Er beginnt schlagartig. Dass die Handlung in einem Gemischtwarenladen mit angeschlossener Konditorei spielt, hat man einfach zu wissen. Eine Registrierkassa und eine Schaufensterfront mit zersprungener Scheibe müssen als Hinweis schon reichen.
Doch es reicht nicht, die halbe Südstaaten-Suppe wegzuschütten – und den Rest mit vorgeblich bedeutsamer Stille auf drei Stunden (mit Pause) in die Länge zu ziehen. Zumal die Sätze des US-Dramatikers keine Horváth-Qualität haben. Sie wollen auch nicht mehr als ein Konversationsstück ergeben. Der Dreiakter „Orpheus steigt herab“ aus 1957 lebt von den Dialogen – und den Beziehungen zwischen den plastisch modulierten Figuren.
Kušej hingegen strapaziert sein Publikum mit manieriert zur Schau gestellter Beziehungslosigkeit: Alle stehen oder sitzen nur angewurzelt herum, starren ins Leere und schauen dem Gegenüber so gut wie nie in die Augen.
In diese Hölle auf Erden steigt ein Orpheus hinab. Die Frauen würden mit ihm ziehen, ohne sich auch nur einmal umzudrehen. Eine von ihnen ist die an sich verbannte Außenseiterin Carol. Kostümbildnerin Heide Kastler sieht sie als aufreizende Punkerin: Nina Siewert erinnert an die junge Deborah Harry – mit einem weißen Kleidchen unter dem roten Mantel.
Und der Orpheus namens Val in der coolen Schlangenhautjacke mit gemaischtem Haar hat was von Rod Stewart – ohne dessen Sexappeal: Tim Werths ist ein ganz ein Braver. Daher wird es auch nichts aus der Exhibitionistin, die gegen Rassismus protestierte, und dem fahrenden Sänger. Sie plaudern nur eine Szene lang im hochkant gestellten Cabriolet: Diese unentwegt auf der Bühne mitrotierende Skulptur darf man als Hommage an Erwin Wurm zum 70er deuten.
Brutaler Despot
Doch die Frau des Ladenbesitzers, „Lady“ gerufen, sieht in diesem Deus ex Machina eine Möglichkeit, ihrer Tristesse zu entfliehen: Sie kriegt ihn nicht nur ins Bett, sie wird sogar schwanger. Eigentlich eine hinreißende Rolle. Lisa Wagner aber darf sie nicht wirklich auskosten.
Der Einzige, der das starre Regiekonzept erfolgreich negiert, ist Martin Reinke: Er brilliert als fremdenfeindlicher wie despotischer Ehemann, der – wiewohl sterbenskrank – vor Mord nicht zurückschreckt. Rainer Galke und Norman Hacker sind bloß willfährige Erfüllungsgehilfen, Sarah Viktoria Frick und Wolfram Rupperti dürfen zumindest menschliche Regungen aufblitzen lassen.
Gegen Ende hin hat die Inszenierung Drive. Doch zu spät: Für etliche Besucher war der zitierte Affe bereits mausetot. Sie verließen das Burgtheater in der Pause.
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