"Oppenheimer"-Regisseur Nolan: "Er hat die Welt für immer verändert"

Cillian Murphy als Oppenheimer beim entscheidenden "Trinity-Test"
Mit „Oppenheimer“ hat sich Meisterregisseur Christopher Nolan („Inception“, „The Dark Knight“) an die Biografie eines Mannes gewagt, dessen Rolle in der Geschichte umstritten bleiben muss. Denn J. Robert Oppenheimer ging das Risiko ein, eben jene Welt, die er vor dem finalen Zugriff der Nazis retten wollte, selbst zu zerstören. Ab 1942 war der deutsch-jüdischstämmige US-Physiker als Leiter des „Manhattan Project“ federführend am Bau der ersten Atombombe beteiligt.
Auf den Kinostart von „Oppenheimer“ am 21. Juli hat der aktuelle Streik in Hollywood keine Auswirkungen. Der Film ist längst fertiggestellt. Aber die Marketingphase verlief zuletzt – durch äußere Einflüsse – holprig. So mussten die Stars des Films die Londoner „Oppenheimer“-Premiere am Donnerstagabend eilig verlassen, sobald die Entscheidung für den Streik gefallen war. Die für diesen Freitag in London vorgesehenen Interviews waren davor schon gecancelt worden, und so wurde bereits am Dienstag – nur virtuell – mit Journalisten geplaudert. Der KURIER war dabei.
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Warnung
„Ich denke, dass Oppenheimers Geschichte als Warnung dient“, sagt Nolan im Gespräch, „aber ich denke, dass es in erster Linie eine sehr dramatische Geschichte ist, und deshalb hatte ich das Gefühl, dass sie sich für einen Film eignen würde.“
Nolan wollte dabei nicht zu belehrend wirken. „Ich denke, wir alle sperren uns von Natur aus dagegen. Für ein dramatisches Kinoerlebnis möchte ich das Publikum in die Lage von Charakteren versetzen, die sehr schwierige Situationen durchmachen, auf die es keine einfachen Antworten gibt.“

Regisseur Nolan (re.), mit seinem Star-Cast: Matt Damon, Robert Downey Jr., Cillian Murphy, Emily Blunt (v. li. n. re.)
Beunruhigend
„Von allen Geschichten, die mir je begegnet sind, ist Oppenheimers Geschichte diejenige, die die beunruhigendsten Fragen aufwirft“, sagt Nolan. „Einige sind unmöglich zu beantworten. Er hat die Welt völlig verändert, und sie wird sich nie wieder zurück verändern. Das verleiht seiner Geschichte enorme Resonanz und echte Kraft.“
Der dreistündige Film zeigt auch die Vorgeschichte Oppenheimers, seine Kontakte zur linken Uni-Szene – vor allem mit der Kommunistin Jean Tatlock (Florence Pugh), in die er sich Hals über Kopf verliebte. Cillian Murphy, der Oppenheimer verkörpert, sagt: „Er tanzte zwischen den Regentropfen, moralisch und emotional. Auf dieses Zitat von Christopher haben wir beim Dreh oft zurückgegriffen. In seinen frühen Jahren ist viel passiert. Ich glaube, es gab in seinem ganzen Leben eine gewisse Instabilität. Letztendlich glaube ich, dass er ein guter Mann war.“
Auch Oppenheimers Spenden fürs sozialistische Lager im Spanischen Bürgerkrieg (1936 bis 1939) nährten den Argwohn der US-Regierungsbehörden. In der McCarthy-Ära, nach Ende des Zweiten Weltkrieges, sank Oppenheimers Stern rasch. Auch dieser Phase und dem Konflikt mit seinem einstigen Förderer Lewis Strauss (Robert Downey Jr.) gibt Nolan viel Raum.

J. Robert Oppenheimer (1904 - 1967)
Historisch
Der theoretische US-Physiker J. Robert Oppenheimer (1904–1967) wurde 1942 wissenschaftlicher Leiter des „Manhattan-Projekts“. In Los Alamos (New Mexico) wurde schließlich am 16. Juli 1945 die erste Atombombe getestet
Hiroshima
Nach den verheerenden Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im August1945 endete der Zweite Weltkrieg. Oppenheimer setzte sich danach gegen einen weiteren Einsatz von Kernwaffen ein
Filmtechnik
Christopher Nolan gilt als Verfechter des analogen Kinos und nützt die IMAX-Kameratechnik. Bei der Herstellung der Bilder zur Kernreaktion verzichtete er auf CGI. Durch die Überlänge des Films (drei Stunden) hat die herkömmliche 70mm-Filmrolle (und diese empfiehlt Nolan für das optimale Kinoerlebnis) eine Länge von fast 18 Kilometern, das absolute Maximum bei IMAX-Projektoren
Ein Restrisiko
Die Dramatik des Films, in dem Oppenheimer auf Wissenschafter wie Einstein (Tom Conti), Bohr (Kenneth Branagh) und Heisenberg (Matthias Schweighöfer) trifft, beruht im Kern auf einem Restrisiko, das zu jener Zeit bestand. Emily Blunt, die Oppenheimers Ehefrau Kitty spielt, sagt: „Die Wahrscheinlichkeit, dass sie beim Trinity-Test die gesamte Atmosphäre entzünden und die Menschheit auslöschen könnten, wurde zwar mit nahezu null berechnet, aber eben nicht mit null. Die Vorstellung, dass der rote Knopf gedrückt wurde, welchen Fortschritt das für die Beteiligten bedeutete, was man aber auch verlieren hätte können, war für mich wirklich schockierend.“
„Ich bin mir sicher, dass große Angst da war“, sagt Robert Downey Jr., „aber es gab auch die Möglichkeit, die Technologie zu nutzen, um zu versuchen, die faschistische Übernahme der Zivilisation zu stoppen. Das waren edle Motive. Und dann ist da noch das Menschliche im Spiel, wir alle sind gebrochen. Ich denke, dass Oppenheimer sein Charisma und seinen Narzissmus als Maske benutzte, um sich vor der schrecklichen Verantwortung zu schützen, die er trug.“

Oppenheimer (Cillian Murphy) in der von ihm eigens erbauten Wüstenstadt in Los Alamos (New Mexico)
Die Auswirkungen
Die konkreten Auswirkungen – die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki mit weit mehr als 100.000 Toten – zeigt Nolan nur indirekt. „Ich vertraue darauf, dass die Kraft der Geschichte zum Ausdruck kommt, wenn man die Dinge aus der Sicht Oppenheimers erlebt“, sagt Nolan. Dieser habe, wie der Rest der Welt, vom Einsatz der Atombombe aus dem Radio erfahren, berichtet er. „Das schien mir ein bemerkenswerter Wendepunkt für jemanden, der so im Mittelpunkt dieses Projekts stand. Ich versuche, diesen Ereignissen, die zu groß und zu schrecklich sind, um sie zu begreifen, so einen menschlichen Bezug zu verleihen und vertraue darauf, dass sich das ganze Ausmaß auf hoffentlich unerwartete Weise offenbart.“

Oppenheimer (Cillian Murphy) und "seine" Bombe
Matt Damon spielt den militärischen Leiter des Atombombenprojekts in Los Alamos, Leslie Groves. Er zieht den Faden bis in unsere – erneut beunruhigende – Gegenwart: „Diese Technologien stellen uns vor große Fragen über unsere Spezies. Es verheißt nichts Gutes, wenn wir über Technologien verfügen, die uns ausradieren können. Wir sind nicht dafür gerüstet, damit umzugehen.“
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