KURIER: Sie waren international bekannt, wurden zum Publikumsliebling gewählt. Warum haben Sie sich 2014 aus der Oper zurückgezogen?
Elisabeth Kulman: Ich habe ein Talent in die Wiege gelegt bekommen und es zu seinem vollen Potenzial entfaltet. Aber es gab einen Punkt, wo ich spürte, etwas verändern zu müssen. Mit dem Film, den ich jetzt herausgebracht habe, habe ich das Gefühl, alles gesagt zu haben, was ich musikalisch zu sagen habe.
Sie nennen sich „Opernrevolutionärin“ im Pressetext. Was kann man sich darunter vorstellen?
Das resultiert aus einer Facebookseite, wo sich 2013 Künstler erstmals – meist anonym – über die prekären Verhältnisse des Opernbetriebs beschwert haben. Damals habe ich selbst die Salzburger Festspiele sehr kritisiert und später auch einen Youtube-Kanal dazu gegründet. Ich bin diejenige, die den Finger immer wieder in die Wunde legt. Das Problem ist, dass freischaffende Künstler keine Lobby haben.
Sie wandten sich mit der Initiative „Voice it“ auch gegen den Festspieldirektor in Erl, der 2018 gehen musste. Ist es besser geworden?
Ich denke schon. Die Jüngeren wehren sich.
Aber kann eine Opernproduktion basisdemokratisch geschehen? Muss in einer Inszenierung denn nicht immer einer oder eine den Ton angeben? Man könnte Ihnen ja auch umgekehrt vorwerfen, hypersensibel zu sein.
Ich bin sicher hochsensibel, und das sollte man in diesem Punkt auch sein. Es braucht ein wertschätzendes Miteinander. Wobei klar ist, dass einer die Entscheidung trifft – nicht nur in der Oper, auch in der Wirtschaft. Aber oft werden die Sänger wie Marionetten behandelt. So funktioniert das nicht.
Salon Salomon: Elisabeth Kulman
Sie haben in einem Interview einmal das System hinter der Oper als „krank“ bezeichnet und kritisiert, dass Intendanten oft inkompetent oder sogar psychopathisch sind.
Macht kann korrumpieren, da brennen oft Egos durch. Wobei Macht selbst nichts Schlechtes ist – Ohnmacht hingegen ist furchtbar. Macht sollte aber so ausgeübt werden, dass es zum Wohle des Projekts und aller Mitwirkenden ist.
In der Oper scheint manchmal das Theater wichtiger zu sein, als die Musik – bei Don Giovanni in Salzburg etwa fiel ein Klavier von der Decke. Muss die Musik wieder mehr in den Vordergrund treten?
Ja. Wir sind sehr optische Menschen geworden und haben verlernt zu hören. Aber das ist die Essenz von Oper. Diese Kompositionen sind Geniestücke! Da ist eine Komplexität, Schönheit und Wahrheit drinnen! Dort ist der Schatz begraben.
Sie haben Ihr Leben radikal verändert, aufgehört zu singen, und sich auch vom größten Teil Ihres Privatbesitzes samt goldener Schallplatten getrennt. Wie leben Sie jetzt?
Ich habe immer gerne meinen Kleiderschrank ausgemistet. Man hat doch nur ein paar Lieblingskleiderstücke. Alles andere belastet unnötig. Ich habe ganz viel verschenkt und auch einiges verkauft. Für mich war das so eine Erleichterung! Ich muss mich nicht jeden Tag neu erfinden. Ganz viele Bücher stehen doch nur noch als Deko herum. Ich habe sogar in meine Tagebücher geschaut und mich gefragt, ob da noch irgendetwas ist, was mit mir sprechen will. Wenn nicht, dann darf auch das weg. Das ist dann schon die höhere Stufe. Man soll auch aus Situationen rausgehen, die einem nicht guttun und sich von Menschen trennen, die einen runterziehen. Es geht darum, frei und leicht zu sein und Platz zu schaffen für die wirklich wichtigen Dinge im Leben.
Aber haben Sie, wenn Sie, wie Sie selbst sagen, nun „nomadisch“ leben, keine Existenzängste?
Ich mag die Überraschung und bin das Reisen gewohnt. Ich will mich ja weiterentwickeln und lernen. Ich habe ein paar Monate da, ein paar Wochen dort und auch lange in Spanien gelebt.
Wie würden Sie Ihren momentanen Beruf bezeichnen?
Ich bin Filmproduzentin, habe den Film finanziert und alles Drumherum gemacht. Meine Mission ist, die Welt mit Schönheit zu beschenken. Dafür bin ich Botschafterin.
Aber damit lässt sich nicht wirklich Geld verdienen.
Ich habe gut verdient, daher konnte ich mir auch diesen Film leisten. Ich bin in meinem Leben immer beschenkt worden, weil ich selbst beschenke. Deshalb mache ich mir überhaupt keine Sorgen.
Ihr Film „La Femme c’est moi“ wurde während eines Corona-Lockdowns gedreht, ist eine musikalische Collage – von Mozart bis Beatles. Was ist das Besondere?
Ich habe mir hier eine Welt gebaut, wie ich musizieren will – mit acht fantastischen Musikern. Und ich habe Musikstücke zusammengestellt, die auch wieder Grenzen sprengen. Das wurde mit ganz viel Zeit, Kreativität und Input von allen erarbeitet. Da entsteht etwas Magisches, und dieser Funke springt auch auf den Zuseher über.
Eine wichtige Rolle spielt der jüngst verstorbene, langjährige Solocellist der Wiener Philharmoniker Franz Bartolomey. Was schätzten Sie an ihm so besonders? Ich kenne ihn lange. Er ist immer aufgefallen, hatte so viel Charisma. Er hat diesem Projekt sein Herz geschenkt. Im Film sagt er einmal: „Ich habe mein Leben lang darauf gewartet, dass mir jemand sagt, wie ich etwas anders spielen soll.“ Und dann improvisiert er – als klassischer Musiker, der immer im Orchester oder in der Kammermusik spielte! Das ist wirklich sehr berührend.
Oper ist eine Art Hochleistungssport. Wann sollte man aufhören?
Wenn man sich nicht mehr in den Spiegel schauen kann. Wir Musiker sind keine Maschinen, die auf Knopfdruck funktionieren. Ich habe bemerkt, dass mir der Opernbetrieb nicht gut tut und wurde von meinem Körper gezwungen, die Konsequenzen zu ziehen.
Sie hatten ein Burnout.
Genau, und dann habe ich radikal begonnen, gut auf mich aufzupassen.
2011 hatten Sie in Bochum bei der ersten Probe zu Tristan und Isolde einen dramatischen Arbeitsunfall: Nach einem Schlag auf den Kehlkopf verloren Sie ihre Stimme. Haben Sie da zum ersten Mal überlegt, mit dem Singen aufzuhören?
Damals noch nicht. Aber es wurde mir bewusst, was es heißt, keine Stimme zu haben. Ich konnte mich nicht artikulieren, ich konnte nicht zu meinem Recht kommen.
Wollen Sie auch in Zukunft Stimme für die vom Opernbetrieb Frustrierten sein?
Mein Ziel ist es, nicht mehr gebraucht zu werden. Jeder muss ja selbst seine Stimme finden. „Voice it“, sprich’s aus. Ich kann nicht alle Probleme anderer lösen.
Gab es da eine zu große Erwartungshaltung an Sie?
Ja. Ein Mensch kann nicht die Opernwelt retten – was für eine Anmaßung, auch von mir! Viele wollten in der Deckung bleiben und haben mir das übergestülpt. Aber ich habe es auch angenommen.
Gibt es etwas, das Sie auf die Bühne zurücklocken könnte?
Ob ich noch einmal auf einer Bühne singen werde, lasse ich offen. Das klassische Singen habe ich abgeschlossen, weil ich nicht schlechter sein will, als damals. Ich habe auf dem Höhepunkt aufgehört – das ist doch super! Man muss in Würde loslassen.
Die Sängerin Mezzosopranistin Elisabeth Kulman war Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper und hatte eine 25-jährige, internationale Karriere. Sie kämpft für gerechte Verhältnisse in der Klassikwelt
Der Film „La femme c’est moi“ wurde während eines Corona-Lockdowns gedreht: eine musikalische Collage – von Mozart bis Beatles. Dank des Filmemachers Nikolas Lappas lebt man mit den Musikern mit
Kommentare