Operndirektor nach "Tannhäuser"-Streit entlassen

Die Inszenierung des jungen Regisseurs Timofej Kuljabin erregte Kritik der russisch-orthodoxen Kirche.

Nach einem wochenlangen Streit um eine Inszenierung von Wagners "Tannhäuser" in Nowosibirsk hat das Moskauer Kulturministerium den Direktor des Theaters entlassen. Boris Mesdritsch habe sich als Leiter des Operntheaters Anweisungen widersetzt, umstrittene Szenen der Arbeit des jungen Regisseurs Timofej Kuljabin zu ändern, teilte die Behörde in Moskau am Montag mit.

Operndirektor nach "Tannhäuser"-Streit entlassen
epa00596256 View of the Novosibirsk Opera theatre, which was opened after its reconstruction on Wednesday, 14 December 2005. The theatre was founded 60 years ago and got the nickname 'Siberian Colosseum'. EPA/SERGEI CHIRIKOV
Das Ministerium reagierte damit auf Kritik der russisch-orthodoxen Kirche, die dem Theater eine absichtliche Verletzung religiöser Gefühle vorwirft. In einer Szene der Aufführung, die im Dezember in der Millionenstadt Premiere hatte, ist Jesus als Filmfigur mit halb nackten Frauen zu sehen. Vize-Kulturminister Wladimir Aristarchow sagte im Fernsehen, solche Szenen in einem mit Steuergeldern finanzierten Staatstheater seien "unzulässig". Teile der Bevölkerung fühlten sich beleidigt.

Straßenproteste

Theaterdirektor Mesdritsch hatte die Arbeit bis zuletzt verteidigt - auch gegen Straßenproteste von Orthodoxen. Er sagte der Agentur Interfax, dass sein Vertrag keinen Widerspruch gegen die Kündigung zulasse. Als Nachfolger wurde der Oligarch Wladimir Kechman eingesetzt, der zudem das Michailowski-Theater in St. Petersburg führt. In Russland kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen Kirchenfunktionären und Kulturschaffenden.

Betroffen äußert sich der junge russische Regisseur Timofej Kuljabin über den Streit um seine Inszenierung der Oper "Tannhäuser" von Richard Wagner. Es sei ein "Schock", dass der Direktor des Theaters von Nowosibirsk, Boris Mesdritsch, nun wegen seiner Arbeit entlassen wurde, sagt der 30-Jährige in folgendem Interview mit der deutschen Nachrichtenagentur dpa.

Frage: Solch eine Aufregung um Ihre "Tannhäuser"-Inszenierung - war das so zu erwarten, was sagen Sie zum Rauswurf des Operndirektors?

Kuljabin: Die Entlassung von Boris Mesdritsch ist ein Schock für uns alle. Nein, eine solche Resonanz habe ich nicht erwartet, auch kein Gerichtsverfahren. Am Anfang schien das alles so absurd. Soweit mir bekannt ist, gab es das noch nie, dass ein Regisseur sich wegen einer Aufführung vor Gericht verantworten muss. Es fällt mir noch immer schwer, eine passende Bewertung all dessen zu geben. Es geht in der Diskussion auch schon lange nicht mehr um die Inszenierung.

Frage: Warum ist moderne Kunst in Russland aus Ihrer Sicht immer wieder aggressiven Angriffen ausgesetzt?

Kuljabin: Mir scheint, dass es in jedem konkreten Fall unterschiedliche Gründe gibt. Ich würde nicht von einem System oder von einer Tendenz sprechen. Aber ich verstehe, dass es von außen einen solchen Anschein haben kann. Ernsthaft analysieren müssten das allerdings Experten - zum Beispiel Soziologen.

Frage: Fühlen Sie sich selbst bedroht von der Kirche oder unter politischem Druck, fürchten Sie um Ihre Sicherheit?

Kuljabin: Die Vertreter der Kirche oder der Politik sind selbst nicht direkt an mich herangetreten. Es gibt hin und wieder Nachrichten bei Facebook, ich möge mir überlegen, was ich mache und so weiter. Aber ich reagiere nicht darauf. Ich werde auch künftig versuchen, nicht daran zu denken, aber befürchte, dass das wohl schon nicht mehr möglich ist. Keiner kann solch einen Vorgang einfach aus seinem Gedächtnis löschen.

Frage: Stehen Sie weiter zu Ihrer Regiearbeit, oder sind Sie bereit, strittige Szenen zu entfernen?

Kuljabin: Die Frage von Zugeständnissen oder Änderungen in der Aufführung hängen schon nicht mehr von mir ab. Der "Tannhäuser" ist das Eigentum des Theaters. Nur das Theater kann über die Veränderungen entscheiden. Was aber das Streichen von Szenen angeht, und wenn alle Forderungen unserer Gegner erfüllt würden, dann würde diese Inszenierung in ihrem ursprünglichen Ansatz praktisch aufhören zu existieren.

Frage: Was bedeutet Ihnen Wagner, warum dieser Stoff und diese Inszenierung?

Kuljabin: Es handelt sich um eine Auftragsarbeit für die Oper aus Anlass des Wagner-Jahres. Es ist eine jener Opern, die selten aufgeführt werden in Russland. Für mich war es die erste Begegnung mit Wagner - und die erste ganz selbstständige Opern-Inszenierung. Die Musik Wagners hat mich stark in ihren Bann gezogen. Ich habe mir es aber gar nicht zur Hauptaufgabe gemacht, mir etwas Originelles auszudenken. Ich habe vielmehr eine Möglichkeit gesucht, die Gedanken hervorzubringen, die im Original der Oper so enthalten sind.

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