Oper: Wenn Teenagersehnsüchte zu Albträumen werden

Oper: Wenn Teenagersehnsüchte zu Albträumen werden
Tschaikowskys „Jungfrau von Orleans“ im Theater an der Wien

Heilige oder Hure, Erlöserin oder Dämonin – wer ist Peter Iljitsch TschaikowskysJungfrau von Orleans“ wirklich? Im Theater an der Wien gibt Regisseurin Lotte de Beer in ihrer Neudeutung der (nicht ganz zu Unrecht) selten gespielten großen Oper eine klare Antwort: Johanna, das ist ein pubertierender Teenager, eine Rebellin, die unter ihrem dominanten Sugar-Daddy leidet, die ihre erste Regelblutung ebenso durchlebt wie ihre Defloration. Dazwischen träumt sie sich in die Geschichte der Johanna von Orleans hinein, wird so zum Spielball der Männer, des Patriarchats. Denn egal, on König, Krieger oder Kardinal – die Frau ist hier leider immer das Opfer.

Zwischen den Welten

Das alles ist von Lotte de Beer in der wandelbaren Jugendzimmer-Ausstattung (inklusive Postern von Madonna oder den Pussy Riots), die von Clement & Sanôu besorgt wurde, klug gedacht. Naturalismus (samt Alltagskleidung) auf der einen Seite; abstrahierende Karteikästen und an Hermann Nitsch gemahnende, blutige Stoffbahnen (Symbol für Menstruationsblut und die „Schuld“ der sich verliebenden Johanna) im alten Frankreich. Das ergibt teils starke Bilder; die zeitlichen Ebenen aber kann De Beer nicht zusammenführen. Da hilft auch die gute Lichtregie (Alessandro Carletti) nichts. Szenisch bleibt das Ganze unentschlossen; die finale Verbrennungsszene verpufft gar zu sehr.

Wie auch Dirigentin Oksana Lyniv am Pult der guten Wiener Symphoniker einiges an Nuancen liegen lässt. Die Chefdirigentin der Oper Graz entfacht zwar viel Dramatik, verzichtet aber auf jeden Anflug musikalischer Romantik. Ihre Tschaikowsky-Interpretation ist herb und hart.

Das ist absolut legitim, für die Interpreten aber nicht immer ganz einfach. Vor allem Titelheldin Lena Belkina – an der Wien spielt man die Fassung für Mezzosopran – zeigt die Zerrissenheit ihrer Johanna nicht nur szenisch famos, sie stellt sie mitunter unfreiwillig auch vokal zur Schau. Weitaus stärker agiert der herrlich phrasierende Bariton Daniel Schmutzhard als Dunois, der stimmlich keine Wünsche offen lässt.

Kristjan Johannesson ist als Johannas Liebhaber Lionel tadellos besetzt; Opernlegende Willard White verfügt als Johannas Vater immer noch über eine guten Bassbariton. Dmitry Golovnin (König Karl VII.), Simona Mihai (Agnes), Martin Winkler (Kardinal), Raymond Very, Igor Bakan und Florian Köfler ergänzen großteils sicher. Ein Ereignis für sich ist einmal mehr der Arnold Schoenberg Chor. Viel Jubel, kaum Proteste für eine mutige Produktion.

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