Oper und #metoo: "Alle von uns haben etwas Derartiges erlebt"

Agneta Eichenholz in "Lulu" in der Wiener Staatsoper
Die Sopranistin Agneta Eichenholz über Übergriffe im Opernbusiness und starke Frauen.

Mitten in die #metoo-Debatte um sexuelle Übergriffe gegen Frauen in Kultur, Sport, Medien und auch überall sonst zeigt am Sonntag die Wiener Staatsoper eine Premiere, die eine der komplexesten Frauenrollen birgt: Die schwedische Sopranistin Agneta Eichenholz singt die Lulu in Alban Bergs Oper. Lulus Aufstieg und Fall hängen eng mit den Männern zusammen, mit denen sie Beziehungen führt. Ihr Leben wird von diesen Beziehungen definiert – und letztlich ruiniert.

KURIER: Eine höchst interessante Rolle, vor allem jetzt angesichts der #metoo-Debatte.

Agneta Eichenholz:In Schweden haben sich 700 Sängerinnen öffentlich zu #metoo geäußert. 700! Ich wusste gar nicht, dass es so viele gibt. Das heißt: Alle von uns haben etwas Derartiges erlebt.

Beeinflusst #metoo die neue "Lulu"-Produktion?

Nicht im Ergebnis, aber in der Arbeit. Wir haben viel darüber gesprochen, auch darüber, wie Frauen auf Übergriffe reagieren sollen. Jetzt haben wir fast das gegenteilige Problem: Die Männer sind so vorsichtig mir gegenüber, sie trauen sich fast nicht, mich zu berühren. Aber dann habe ich nichts, womit ich arbeiten kann! Es ist auch wieder schwierig, wie ich ihnen klarmachen soll: Bitte berührt mich!

Wird die Übergriffsdebatte langfristige Auswirkungen haben?

Ich denke, ja. Zumindest für mich persönlich: Für mich gibt es kein Zurück. Ich fühle mich viel stärker, wir Frauen fühlen uns stärker. Wenn etwas passiert, werde ich es niemals akzeptieren! Aber ich war immer schon eher so gestrickt. In der allerersten Produktion, in der ich war, handelte der Dirigent nicht, wie er hätte sollen. Ich war jung, naiv, aber sehr selbstbewusst – und ging sofort zum Chef. Der sagte: Damit musst du selbst umgehen. Der übliche Scheiß eben. Entschuldigung. Danach fand ich, wenn etwas passierte, meinen eigenen Weg, damit umzugehen. Ich ging nicht mehr zum Boss. Denn es ist so erniedrigend, wenn sie dir nicht zuhören. Fast schlimmer als der Übergriff.

Ist die Opernwelt so männerdominiert, dass man schon von strukturellem Sexismus reden kann? Es werden von Männern geschaffene Werke von Männern inszeniert und dirigiert...

Aber es gibt eine Besonderheit: Viele von ihnen sind schwul. Da gibt es diese Probleme nicht. Ich denke nicht, dass die Oper im Gesamten schlimmer ist, es ist die gesamte Kultur so strukturiert.

Aber aus dem Opernbereich hört man vergleichsweise wenig zur Sexismusdebatte.

Ich weiß, dass wir uns bemühen. Wir hoffen, dass das breiter wird. Wir tun das nicht aus Rache, sondern weil wir eine bessere Zukunft wollen. Was nicht so leicht ist! Kinder sehen heute schon viel früher viel Pornografie. Es ist zu hoffen, dass sie auch früher Wissen darüber vermittelt bekommen.

Wird die Debatte dazu führen, dass die Opernwerke selbst anders interpretiert werden?

Es gibt hier einen sehr männlichen Blick. Alle Opern wurden von Männern geschrieben. Die meisten Dirigenten und Regisseure sind männlich. Jetzt klinge ich sehr feministisch (lacht). Wir müssen dafür sorgen, dass gute Menschen gute Kunst machen, wir brauchen alle verschiedenen Perspektiven.

Aber was ist mit den nicht so guten Menschen, die gute Kunst gemacht haben? Kann und soll man sich "House of Cards" noch ansehen?

Ach, das habe ich nie gemocht. Das war mir zu zynisch. Ich habe davon Bauchweh bekommen.

Na gut, dann einen von Harvey Weinstein produzierten Tarantino-Film. Anschauen oder nicht?

Das ist eine schwierige Frage. Letztendlich geht es um gute Kunst. Aber wenn der Preis dafür zu hoch ist... Wir müssen für alles kämpfen, das gut ist. Und uns selbst verbessern. Das ist eines meiner wichtigsten Lebensziele. Und manchmal ein bisschen schwierig (lacht).

Auch das Leben als Opernsängerin ist wohl nicht leicht – und mittlerweile eine sehr ungewöhnliche Karriere.

Ich schätze mich glücklich, dass ich mit dem Geschenk geboren wurde, singen zu können. Aber ich stamme nicht aus einer musikalischen Familie. Ich wusste also nicht, dass das etwas Besonderes war – und dass es schwierig ist. Was wahrscheinlich gut war! Ich sang Popmusik. Dann kam (die amerikanische Sopranistin, Anm.) Barbara Bonney und sang Mozart. Ich sagte: Das muss ich auch singen. Ich wusste nicht einmal, wo ich die Noten dafür herbekommen sollte. Ich kaufte mir eine Aufnahme und lernte die auswendig. Das war der Wendepunkt.

In Richtung einer erfolgreichen Opernkarriere. Erleben Sie diese persönlich als schwierig?

Darüber denke ich jeden Tag nach. Es ist ein hartes Business. Ich liebe es zu singen, aber ich mag alles rundherum nicht notwenigerweise. Ich liebe es zu reisen, aber es ist auch hart, so viel weg zu sein. Ich hätte gerne Zeit, andere Sachen zu machen. Man muss so egoistisch sein. 24 Stunden am Tag Lulu und Agneta zu sein, ist schwierig. Ich habe mich selbst ziemlich satt (lacht).

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