Olga Neuwirth über den "Orlando": "Raus aus der Komfortzone"
Olga Neuwirth war ein Teenager von 15 Jahren, als sie erstmals diesem seltsamen Wesen namens Orlando begegnete. In einem kleinen Kaff an der slowenischen Grenze las die 1968 in Graz geborene Virginia Woolfs gleichnamigen Roman.
Seither lässt sie diese Geschichte nicht mehr los.
Als Dominique Meyer 2013 bei ihr um eine Oper anfragte, war es für die österreichische Komponistin klar, dass das ihr Sujet wird.
Dass sie die erste Frau ist, die in der 150-jährigen Geschichte der Wiener Staatsoper eine große, abendfüllende Oper für dieses Haus komponiert, kommentiert sie so: „Die Institution der Wiener Staatsoper hat zwei Seiten, das eine ist die des wunderbaren Musikmachens, das andere die Geschichte der Erstarrung.“
Bereits 2003 erhielt Neuwirth erstmals den Auftrag, für eine österreichische Institution zu komponieren. Peter Ruzicka, damals Intendant der Salzburger Festspiele, bestellte eine Oper für das Mozart-Jahr 2006. Neuwirth schuf mit ihrer Librettistin Elfriede Jelinek den „Fall Hans W.“. In Salzburg, Paris und auch im Haus am Ring wollte aber keiner eine Geschichte über den Arzt, der Kinder missbraucht hat, haben.
Jelinek zog sich aus der Welt der Oper zurück. 2004 bekam sie den Nobelpreis. Olga Neuwirth aber blieb immer noch Woolfs Schöpfung.
Keine Oper
Orlando wurde im England des 17. Jahrhunderts als Adeliger geboren. Im Alter von 30 Jahren lässt er sich, als Botschafter nach Konstantinopel versetzen. Dort erwacht er – so beschreibt es Woolf – unter den Fanfaren von Trompeten als Frau. Das bleibt er oder besser sie bis zum Ende von Woolfs Roman am 11. Oktober 1928. Neuwirth führt in ihrem Werk diese Figur im besten Wortsinn in die Gegenwart.
„Orlando ist ein Wesen, das alle von Menschen oktroyierten Formen infrage stellt, damit umzugehen versucht, sie verändert und neu bedenkt“, erklärt Neuwirth.
„Orlando“ sei für sie keine Oper, „es ist eine Musiktheater-Performance“, betont Neuwirth.
Die Grundidee, eine Grand Opera aus Musik, Text, Mode und Video zu gestalten, blieb erhalten.
„Dieses Genre, das vorgegeben ist, ist auch eine gemachte Norm, die man dehnen kann, daher habe ich verschiedene Menschen aus verschiedenen Genres eingeladen, die Respekt voreinander haben müssen, um dieses gemeinsame Musiktheaterstück, diesen gemeinsamen Raum für zweieinhalb Stunden gemeinsam zu verbringen, indem sie aufeinander reagieren und miteinander umgehen, auch wenn sie sich nicht kennen.“
"Orlando"
Kate Lindsey als Orlando
Kate Lindsey als Orlando und Anna Clementi (Narrator)
Kate Lindsey als Orlando
"Orlando"
"Orlando"
Kate Lindsey als Orlando und Constance Hauman (Friend)
Kate Lindsey als Orlando und Agneta Eichenholz (Sasha/Chastity)
Kate Lindsey als Orlando
Herausforderungen
Das stellt alle Beteiligten vor größte Herausforderungen. Das Libretto hat Neuwirth mit der französisch-amerikanischen Dramatikerin Catherine Filloux selbst verfasst. Gesungen wird auf Englisch. Der Brite Matthias Pintscher dirigiert. Polly Graham inszeniert. Die amerikanische Mezzosopranistin Kate Lindsey übernimmt die Titelpartie. Justin Vivian Bond, ein viel gefragter Trans-Gender-Künstler, leiht Orlandos Kind seine Gestalt. Matthias Pintscher kennt seine österreichische Kollegin seit 25 Jahren.
„Die Produktion ist für alle Beteiligten ein spannendes Abenteuer. Das ganze Haus, auch das Staatsopernorchester, hat sich auf eine unglaubliche Weise dafür eingesetzt, spontane Modifizierungen zu ermöglichen und auf den Moment zu reagieren“, erklärt Pintscher.
„Das Stück verlangt von allen Beteiligten, dass alle über ihren Schatten springen. Jeder muss aus seiner Komfort-Zone heraus“, ergänzt Neuwirth.
Verzerren ist Neuwirths Stilmittel. „Die Verschiebung findet auf allen Ebenen dieser Partitur und dieser ganzen Produktion statt, aber ich spiele – wie Virginia Woolf es macht – mit Ironie, Spielfreude und Eleganz (fügt Pintscher ein) mit Topoi der Musikgeschichte“, so Neuwirth. Orlando wandert durch die Epochen, die Zeiten ändern sich, aber nicht die Themen. „Es geht immer um das Gleiche, Liebe, Schmerz, Verlust, Tod, Trauer und Gewalt“, sagt Neuwirth. Zwar gibt es auch Hoffnung, „aber die ist immer infrage gestellt.“
Und Pintscher fasst zusammen: „Die ganze Menschheit, das Humanitäre Mahlers, ist in diesem Werk omnipräsent.“
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