Am 8. Dezember gibt es an der Wiener Staatsoper erstmals das Werk einer Frau zu hören: Olga Neuwirths „Orlando“ erlebt seine Uraufführung. Für die Kostüme gelang es der Komponistin, eine Modeikone zu gewinnen: Rei Kawakubo. Sie gründete ihre Modemarke 1969 in Tokio und nannte sie „Comme des Garçons“ (Wie Buben). In den folgenden 50 Jahren wuchs das Unternehmen zu einem der kreativsten, interessantesten, gefeiertsten und meistkopierten der Welt.
Zum exklusiven Interview trafen Rei Kawakubo und der KURIER einander im Teesalon der Wiener Staatsoper. Mit dabei – als perfekter Übersetzer aus dem Japanischen – Adrian Joffe, seit 1992 Kawakubos Ehemann und Chefmanager ihres Unternehmens.
Rei Kawakubo: Nein. Das war das dritte oder vierte Mal. Vor zehn Jahren haben wir schon Museen besucht. Ich liebe die Pracht, die Größe, die Architektur von Wien. Man fühlt die Geschichte, die hier passiert ist. Es ist ein tiefgründiger Ort.
Das Libretto der Oper basiert auf dem gleichnamigen Roman von Virginia Woolf aus dem Jahr 1928. Darin lebt Orlando, der Held, durch mehrere Jahrhunderte und wird auf halbem Weg zur Frau. Wann haben Sie zum ersten Mal von Orlando gehört?
Das ist zirka 20 Jahre her, dass ich das Buch kennengelernt habe.
Haben Sie sofort Ja gesagt, als Olga Neuwirth Sie für die Kostüme für Orlando gewinnen wollte?
Zuerst habe ich Nein gesagt, weil ich mit insgesamt sechzehn Kollektionen im Jahr zu beschäftigt bin.
Wie kam es dann doch dazu?
Ich habe mir überlegt, dass ich das Thema von Orlando mit der Kollektions-Arbeit, die ich für Damen und Herren mache, zusammen tun könnte. Und, wenn Olga dem zustimmt, wir eine Art dreiteilige Geschichte daraus machen könnten. Olga hat gesagt: ’Das ist eine fantastische Idee! Ja bitte!’ Und da habe ich gesagt, okay, ich mache es.
Ihr von Orlando inspiriertes Mode-Projekt „transformation and liberation“ (Verwandlung und Befreiung) besteht also aus drei Akten?
Ja. Der erste Akt (die Frühjahrsmode 2020 für Männer, Anm.) wurde bei der Pariser Fashion Week im Juni präsentiert, der 2. Akt (die Frühjahrsmode 2020 für Frauen, Anm.) im September ebenfalls bei der Pariser Fashion Week. Die Uraufführung an der Wiener Staatsoper am 8. Dezember ist der 3. Akt.
Was ist nun die Idee hinter den Kostümen für die Oper Orlando?
Zusammengefasst ist das Wichtigste an Orlando, frei zu agieren und zu kreieren, ohne sich vom Verstand oder von vorgefassten Ideen zurückhalten zu lassen. Wissen Sie, das ist dasselbe, es wird auch im Buch beschrieben, wie jemand über das hinauswächst, was von einem erwartet wird. Und wie man Dinge erreicht. Das inkludiert das „no gender“, das Unisex-Ding. Es geht aber nicht nur darum: egal ob Mann oder Frau. Es geht einfach darum, bei der Arbeit frei zu sein, ohne sich der allgemeinen Meinung zu verpflichten.
Mit dem derzeit höchst populären „Egal-ob-Frau-oder-Mann“-Thema, das ja im Namen Ihres Unternehmens „Comme des Garçons“ (Wie Buben), auch mitschwingt, waren sie Ihrer Zeit weit voraus. Woher kommt dieser wunderbare Name?
Der Name selbst kommt nicht von diesem Einfluss, er kommt einfach aus einem damals sehr populären französischen Liedtext. Ich hatte den Klang und auch das Gefühl des Liedes so gerne. Aber steckt da vielleicht mehr dahinter?
Adrian Joffe: Zu dieser Zeit war es in Japan sehr hart für Frauen, eine Geschäftsfrau zu werden. Vielleicht gibt Rei durch Ihre Frage zu, dass damals in ihrem Hinterkopf mehr war, als sie diesen Namen gewählt hat. Vielleicht war auch ein Gefühl tief in ihrem Inneren, dass sie wie ein Mann arbeiten wollte. Sie wollte die Einschränkungen überwinden, die einer Frau in Japan im Weg stehen, eine erfolgreiche Geschäftsfrau und frei und unabhängig zu werden. Das war 1969 sehr selten in Japan. Sie sagt, wenn sie jetzt darüber nachdenkt, war dieses Gefühl, dieser Spirit in ihrem Hinterkopf: ich kann das, was Männer getan haben, auch tun.
Sie waren Ihrer Zeit immer voraus. Begannen mit Guerilla-Stores, als es noch keine Pop-up-Stores gab. Und gründeten vor 15 Jahren Dover Street Market, einen inzwischen höchst erfolgreiches Concept-Store, von dem es inzwischen sieben Filialen weltweit gibt. Wie kann man so viele Dinge tun? Wann stehen Sie auf?
Ich stehe um 4:30 Uhr auf, bin um 7 Uhr im Büro und verlasse es frühestens um 21:00 Uhr. Wenn ich an einer meiner Kollektionen arbeite, wird es eher Mitternacht.
Adrian Joffe: Inklusive Samstag und Sonntag. Nonstop!
Nach welchen Gesichtspunkten suchen Sie die Designer aus, deren Kreationen man bei Dover Street Market kaufen kann?
Adrian Joffe: Das ist nicht ihr Job, das ist mein Job! Für unser Jubiläum haben wir mit zahlreichen Modeunternehmen, wie Gucci oder Nike, gemeinsame Dinge entworfen.
Was bedeutet Ihnen Mode?
Das wichtigste an Mode ist, dass sie es dem Träger ermöglicht, eine gewisse Energie zu verspüren. Und einen Weg, die eigenen Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Und das ist, was an der Mode interessant ist. Sie gibt Menschen aller Art die Chance auszudrücken, wer sie sind.
Sind Sie mit Ihrer Arbeit zufrieden?
Wenn ich mir eine Minute Zufriedenheit gönnen würde, dann wäre das das Ende. Wenn ich mit etwas zufrieden bin, das wäre dann die Zeit aufzuhören.
Zurück zu Orlando und Virginia Woolf. Sie beendet ihr Buch mit einem Satz, in dem der 11. Oktober erwähnt wird. Das ist doch Ihr Geburtstag? Ist das nicht geradezu ein Hinweis von Virginia Woolf auf Rei Kawakubo?
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