Die Figuren reden ziemlich viel

Florian Teichtmeister als Fürchtegott Lehmann
Die Josefstadt brachte ein unlängst wieder entdecktes Frühwerk des großen Autors auf die Bühne

Vielleicht waren die Erwartungen einfach zu groß. Wäre das das Erstlingswerk eines unbekannten Autors, man wäre vielleicht restlos begeistert. Aber da der Text von Ödön von Horváth stammt, diesem Großmeister der verdichteten, sich selbst entlarvenden Sprache, kann man sich die zarte Enttäuschung kaum vom Leib halten, so sehr man sich auch bemüht.

Tradition

Bleiben wir also realistisch: Das Theater in der Josefstadt hat zur Eröffnung der neuen Spielzeit "Niemand", das unlängst wieder entdeckte, verschollene Frühwerk Horváths, uraufgeführt, 80 Jahre nach dessen Entstehung. Und das ist natürlich völlig richtig: Horváth-Texte gehören gespielt, und zwar vor allem in der Josefstadt, diesem Haus mit langer, guter Horváth-Tradition.

Hausherr Herbert Föttinger hat inszeniert, und zwar mit spürbarem Respekt vor der historischen Bedeutung dieses Textes, unter Verzicht auf jeden aktuellen Bezug. Das kann man kritisieren, ist aber genau genommen bei der Uraufführung anders gar nicht möglich: So hat Horváth diese Milieustudie der Inflationszeit der Zwanzigerjahre geschrieben, so soll man dieses Fund-Stück auch herzeigen. Bei künftigen Inszenierungen kann man dann "interpretieren" und die sich stark anbietenden Parallelen zum Heute untersuchen.

Distanz

Dass Föttinger auch die Regieanweisungen sprechen lässt, ist einerseits schön, denn so kann man tatsächlich jede Zeile des Texts hören. Und es ist auch sehr geschickt, denn so gehen die Darsteller immer wieder auf Distanz zum Text, machen einen Schritt zurück – und das ist hilfreich, denn manchmal wird es schon arg kitschig und pathetisch.

Und damit sind wir beim Stück selbst: Im Mittelpunkt steht der verkrüppelte Wucherer Lehmann, der, als eine Frau in sein Leben tritt, den gewagten Versuch unternimmt, ein guter Mensch zu werden – aber letztlich keine Chance hat. Rund um ihn gehen Menschen auf den Strich, stehlen, betrügen, morden, weil ihnen der Hunger keine andere Wahl lässt. Gott ist dabei der große Abwesende, der "Niemand" – schönes Wortspiel: "Niemand zwingt dich, zu leben."

Zerbrochene Krüge

Die Handlung könnte auch von Bertolt Brecht sein, aber wo Brecht auf analytische Verfremdung setzt, versuchte es der junge Horváth mit teilweise groschenromanhafter Gefühlsbetonung. Da werden symbol- und anspielungsschwer Krüge zerbrochen, erweisen sich Ringe als bloß vergoldet und wartet geheimnisvoll der "schwarze Wagen" der Bestattung.

Das Hauptproblem dieses Textes aber : Die Figuren reden einfach zu viel. Würde man zwei von drei Sätzen streichen, dann wäre es der Horváth, den man kennt: Verdichtet bis hart an die Grenze des Verschwindens. Sprache, die von ihrem eigenen Verlust erzählt.

Tolles Ensemble

Das Ensemble der Josefstadt – allen voran Florian Teichtmeister, Gerti Drassl und Raphael von Bargen in den zentralen Rollen – leistet Großes im Versuch, diesen Text zu beglaubigen. Dafür gibt es zu Recht Bravos vom Premierenpublikum.

Fazit: Ein 100 Minuten langer, stellenweise auch langatmiger Abend, der aber dennoch spannend und lohnend ist. Und eine Erkenntnis: So virtuos der junge Horváth bereits schreiben konnte, fehlte ihm dennoch damals vielleicht noch die Distanz zum eigenen Talent.

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