Novi Sad: Habsburger, serbische Folklore und der (mögliche) "Exit"
Eineinhalb Flugstunden von Wien-Schwechat entfernt, sieht es noch immer so aus wie in Niederösterreich. Auch die Fahrt von Belgrad nach Novi Sad gleicht einer Reise von Wien nach St. Pölten – nur ohne Lärmschutzwände. Links und rechts ziehen sanfte Hügellandschaften vorbei, es gibt kilometerlange Felder, die bestellt werden: Sonnenblumen, Raps, Kukuruz – alles da. Auch aus dem Autoradio dringt kein Balkan-Pop, sondern Adele und all das, was man aus dem heimischen Hitradio kennt. Es deutet in den ersten Minuten nur wenig darauf hin, dass man 550 Kilometer von zu Hause entfernt ist. Selbst die Architektur im Stadtzentrum ist stark von der habsburgischen Periode geprägt. Und ja, sogar die Donau ist hier: Sie fließt direkt durch Novi Sad.
Die Hauptstadt der Vojvodina ist mit seinen 350.000 Einwohnern nach Belgrad die zweitgrößte Stadt Serbiens. Mit rund 250 Events pro Jahr, dem Nationaltheater, den zahlreichen Museen ist Novi Sad zudem auch das kulturelle Zentrum des Landes. Seit Beginn des Jahres ist das „Gibraltar an der Donau“ auch Europäische Kulturhauptstadt – als erster Ort außerhalb der Europäischen Union.
Diesen „Ritterschlag“ nimmt man hier auch ernst. Unter anderem hat man sich das Ziel gesetzt, die Geschichte der Stadt „durch die Vision gemeinsamer europäischer Werte, aber auch Herausforderungen zu erzählen“. Dabei gilt es, wie das bei Kulturhauptstädten gerne der Fall ist, so viele Interessen und Stakeholder wie möglich zu befriedigen. „Brücken“ wollen gebaut werden, heißt es. Das hat auch symbolischen Charakter, denn in Novi Sad leben Serben, Kroaten, Ungarn, Rumänen, Juden, Deutsche seit vielen Jahren Seite an Seite. Neuerdings wandern immer mehr Russen und Ukrainer zu. Die einen flüchten vor Putins Bomben, andere vor Putins Überwachungsstaat, vor den Sanktionen des Westens. Beide werden mit offenen Armen empfangen. Ukraine-Flaggen sieht man keine, pro-russische Aktionen hingegen schon.
Andererseits soll dieses Brücken-Bau-Programm auch auf die Nato-Luftangriffe (1999) anspielen, durch die alle drei Brücken über die Donau zerstört wurden.
Fleisch und Frieden
Mittlerweile sind natürlich alle Brücken wieder funktionstauglich. Eine führt z. B. direkt vom Zentrum auf das andere Donauufer, wo Peterwardein liegt. Dort findet noch bis Sonntag das mittlerweile weit über den Balkan hinaus bekannte Exit Festival statt. Das 2000 ins Leben gerufene Event ist sicherlich eines der beeindruckendsten in Europa. Dafür sorgen die Naturkulisse und das in vier Tagen angebotene Musikprogramm auf 20 Bühnen, das eine gelungene Brücke (noch eine) zwischen Death Metal über Pop bis hin zu Techno schlägt. Nur Fans des deutschen Schlagers und Free Jazz werden hier nicht bedient.
Der Star des Festivals ist aber zweifelsohne die Location, die Festung Peterwardein, die im Auftrag der Habsburger im Zeitraum von 1692-1780 errichtet wurde. Sie ist der Austragungsort des Festivals, das Novi Sad seit Donnerstag fest im Griff hat. Die halbe Stadt arbeitet mit, grillt (Pljeskavica!), schenkt Bier aus oder spielt den Taxler. Das Kulturhauptstadtprogramm macht einstweilen Sommerpause. Im Herbst geht es aber munter weiter. Möge der Programmschwerpunkt „Frieden“ Früchte tragen.
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