Nominierung für Auslandsoscar: Vom Schwinden der Menschlichkeit
Düstere Zeiten, düstere Filme? Sonntag Nacht findet die 93. Oscar-Preisverleihung in Los Angeles statt
, und viele der Arbeiten, die als bester Film zur Auswahl stehen, behandeln brisante Themen. In „The Father“ ringt Anthony Hopkins mit seiner Demenzkrankheit, in „Nomadland“ kämpft Frances McDormand um ihr Existenzminimum. In „Judas and the Black Messiah“ geht es um Rassendiskriminierung und Polizeigewalt, in „Promising Young Woman“ um sexuellen Missbrauch.
In der Kategorie bester fremdsprachiger Film findet sich zudem ein unglaublich erschütterndes Kriegsdrama, das unter österreichischer Beteiligung entstand: „Quo Vadis, Aida?“ von Regisseurin Jasmila Žbanić. Eingereicht von Bosnien-Herzegowina, wurde der Film von der coop99 koproduziert. Bereits mit ihrem Filmdebüt „Esmas Geheimnis – Grbavica“ (2006) – ebenfalls eine Koproduktion mit der coop99 – hat die 46-jährige Regisseurin einen Goldenen Bären auf der Berlinale erhalten.
Massaker
„Quo Vadis, Aida?“ erzählt die dramatischen Ereignisse rund um den Genozid an mehr als 8.000 Menschen in Srebrenica im Juli 1995. Im Zentrum steht die Lehrerin Aida (Jasna Duričić), die als Übersetzerin in der Kleinstadt Srebrenica für die UN arbeitet. Als serbische Truppen die Stadt einnehmen, suchen Tausende – darunter Aidas Ehemann und ihre zwei Söhne – im UN-Lager Schutz. Doch die grausamen Taten der Armee von Ratko Mladić (Boris Isakovic) nehmen ihren Lauf, während die UN-Soldaten praktisch tatenlos dabei zusehen.
Packend inszeniert, brillant besetzt und durch die Linse der österreichischen Kamerafrau Christine A. Maier eindrucksvoll gefilmt, erhält das Kriegsdrama seit seiner Premiere auf dem Filmfestival in Venedig viel internationale Anerkennung.
Der vorläufige Höhepunkt war seine Nominierung für den Auslandsoscar.
Anlässlich der Preisverleihung am Sonntag ist Jasmila Žbanić nach überstandener Corona-Erkrankung nach Los Angeles aufgebrochen. In Wien war ihr Film bereits auf der Viennale zu sehen, wofür die Regisseurin auch selbst anreiste; vorläufig geplanter Filmstart ist der 24. Juni. „In unserer Region ist das Thema Genozid immer noch sehr aufgeladen und brisant“, erzählte die in Sarajevo geborene Bosnierin im KURIER-Interview über die Schwierigkeiten, eine Geschichte über das Massaker von Srebrenica zu erzählen: „Es war daher klar, dass ein Film darüber ein Schritt in ein Minenfeld sein würde. Am Anfang hatte ich überhaupt den Eindruck, dass niemand wollte, dass ich diesen Film mache, aus Angst davor, wie die Ereignisse erzählt werden.“
Perspektiven
Sie habe sich dann dazu entschlossen, „mir so ehrlich wie möglich alle Perspektiven anzuschauen und dann meine eigene Erzählperspektive zu finden“, so Žbanić: „Dabei war es mir absolut wichtig, sicherzugehen, dass alle Fakten stimmen. Die Familiengeschichte der Dolmetscherin, ihres Mannes und ihren zwei Söhnen ist fiktional. Aber abgesehen davon habe ich versucht, nur Details zu erzählen, die ich durch Augenzeugenberichte belegen konnte.“ So entschloss sich etwa die Filmemacherin, als künstlerischen Schlüssel zu der Figur des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladić dessen Hang, sich für die Kamera zu inszenieren, auch im Film zu übernehmen.
Kriegsverbrecher
Außerdem entschied sie, gemeinsam mit dem serbischen Schauspieler Boris Isakovic, Mladićs Sätze und Reden so authentisch wie möglich zu übernehmen: „In der Republika Srpska und Srbija wird er immer noch als Held gefeiert, aber in Bosnien und der ‚normalen‘ Welt gilt er als Kriegsverbrecher. Aber wir wollten ihn nicht einseitig zeichnen, sondern wir wollten, dass er für sich selbst spricht.“
Für eine feministische Perspektive auf das Massaker von Srebrenica sorgt die zentrale Protagonistin Aida. Inspiriert wurde Žbanić von dem Buch „Under the U. N. Flag“ des bosnischen Übersetzers Hasan Nuhanović: „Mein Film ist stark davon beeinflusst, aber ich merkte, dass es besser wäre, die Geschichte aus der Perspektive einer Frau zu erzählen, die versucht, ihre Familie zu retten“, sagt Žbanić. Anfänglich sei Aida darum bemüht, möglichst vielen Menschen den Einlass in das bereits überfüllte UN-Lager zu ermöglichen. Doch als sich die Lage dramatisch zuspitzt, „beginnt auch ihre Menschlichkeit zu schwinden“.
Zu den haarsträubendsten Momenten in „Quo Vadis, Aida?“ zählt die klägliche Rolle der niederländischen Blauhelme, die nicht imstande sind, den Abtransport und – in weiterer Folge – die Tötung von bosnischen Männern und Jugendlichen zu verhindern.
Tatenlos zusehen
Es sei wohl wahr, dass die Niederländer von jenen politischen Mächten blockiert wurden, die Srebrenica der serbischen Armee überlassen wollten, räumt die Regisseurin ein, aber: „Bei meinen Recherchen entstand der Eindruck, dass es ihnen auch an Solidarität und Empathie mit den Bosniern und Bosnierinnen fehlte. Ich glaube, viele von ihnen – und vor allem der Kommandant – hegten, im Gegenteil, eher anti-muslimische Ressentiments. Das wurde sogar vor Gericht bestätigt, dass sie von den Tötungen wussten und nichts dagegen taten.“
In der Hälfte des Landes der Republika Srpska werde der Genozid bis heute geleugnet und der Bürgermeister von Srebrenica behaupte, die Massaker hätte es nie gegeben, erzählt Jasmila Žbanić: „Viel Geld wird investiert, um die Ereignisse abzustreiten oder zur relativieren. Aber ich möchte nicht generalisieren: Wenn ich sage, dass serbische Politiker den Genozid leugnen, meine ich damit die offiziellen Autoritäten. Aber es gibt auch viele Serben, die sich wirklich sehr darum bemühen, dass die Wahrheit erzählt wird.“
Zu den Hauptattraktionen der heurigen Oscar-Preisverleihung gehört die – zwangsweise – ungewöhnliche Inszenierung der Gala. Aufgrund der Pandemie wurde sie von Februar auf kommenden Sonntag verschoben und sie soll gleich an mehreren Schauplätzen stattfinden. Zentrale Location aber ist – neben dem traditionellen Dolby Theatre –, Union Station, der wichtigste Bahnhof von Los Angeles.
Ausgerechnet Regisseur Steven Soderbergh, dem aufgrund seines visionären Seuchen-Thrillers „Contagion“ praktisch schon Expertenstatus in Sachen Pandemie zukommt, zählt zum Oscar-Organisationstrio im Covid-Jahr. Glaubt man seinen vollmundigen Vorhersagen, wird die heurige Preisverleihung so verlaufen, „als würde man einen Film sehen“.
Zoom-Zuschaltungen, bei denen Preisträger und Preisträgerinnen im Trainingsanzug verschlafen in die Kamera blinzeln, sollen vermieden werden. Alle Mitwirkenden befinden sich vor Ort. Auch was Anregungen für Kleidungsvorschriften anbelangt, zeigen sich die Organisatoren forsch: „Es kann gar nicht elegant genug sein. Aber es darf auf keinen Fall ‚zu wenig elegant‘ sein.“
Typischerweise verläuft eine Oscar-Verleihung wie eine dreistündige Werbung im Hauptabendprogramm für das Kino und seine Filme. Doch angesichts sinkender Besucherzahlen und vielfach geschlossener Spielstätten, die, wie beispielsweise die amerikanische Arclight Theatres, auch nach Ende der Pandemie nicht mehr aufsperren, hat sich die Lage verschärft. In den Worten von Steven Soderbergh: „Wir müssen auch für das Kino kämpfen.“
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