"Man darf nicht alles zeigen"

Der Musikredaktör hat’s schwör: Er geht in seinem CD-Berg unter. Szene aus "La maison de la radio".
Der französische Regisseur über die Lust am Radio und den Genuss des Weglassens.

Er ist einer der stillsten, aber dennoch wirkungsvollsten Dokumentaristen des französischen Films: Nicolas Philibert behandelt soziokulturelle und gesellschaftliche Phänomene mit glasklarem Blick und verliert dabei nicht den Humor. Im neuen Stadtkino im Künstlerhaus ist zur Zeit sein koketter Blick hinter die Kulissen des französischen Radiosenders Radio France „La maison des la radio“ zu sehen.

KURIER: Monsier Philibert, ist es schwer, Radiostimmen sichtbar zu machen?
Nicolas Philibert:
Mir hat es Spaß gemacht, diesen Film zu machen, der das, was sonst nur zu hören ist, sichtbar macht. Ich wollte einmal hinter die Kulissen blicken: Diese Menschen zeigen, die ihre Arbeit durchwegs lieben, und den Austausch mit ihren Zuhörern verdeutlichen. Letztendlich sind daraus eindringliche Stimmen, Blicke, Akzente und Gesichter voller Intensität geworden. Das ist doch ein schöner Stoff fürs Kino, finden Sie nicht?

"Man darf nicht alles zeigen"
Nicolas Philibert
Nach der Hingabe zum Thema zu schließen sind Sie selbst ein großer Radiofan, oder?
Ja, sicher. Radio ist ein intelligentes und forderndes Medium. Die meisten Leute, die im Radio eingeladen werden, würden nie im Fernsehen zu Wort kommen, weil sie zu seriös und zu komplex in ihren Ausführungen sind. Mein Film ist auch eine Hymne an die Diversität: an die sieben verschiedenen Spartensender von Radio France, die etwas für jeden Geschmack bieten. Diese Diversität ist wertvoll, weil sie bedroht ist. Die Uniformität und das Banale gewinnen ja immer mehr an Terrain.

Sie haben einmal etwas polemisch gesagt, Dokumentationen gibt es nicht. Was ist der Gedanke dahinter?
Das war natürlich eine provokative Aussage. Aber ich behaupte: Eine Dokumentation im Sinn von Realität und Objektivität gibt es nicht. Ein Film ist immer der Blick von demjenigen, der ihn gemacht hat. Er folgt vielmehr den Intentionen des Filmemachers als der Realität, die dieser abfilmt. Wenn du zehn Regisseure zum selben Thema arbeiten lässt, hast du zehn verschiedene Filme. Alles ist einer subjektiven Sicht unterworfen.

Sie zeigen nur wenige Gesichter, fokussieren auf ihren Gesprächspartner und sparen das Drumherum weitgehend aus.
Kino ist für mich immer ein Dialog zwischen dem, was man sieht und dem, was nicht zu sehen ist. Man muss Platz für die Vorstellungskraft seiner Zuseher lassen. Den Zusehern die Idee verschaffen, dass sich zwischen dem Ereignis auf einer und dem auf der anderen Seite eine Verbindung herstellen lässt. Im Idealfall erahnen sie, dass da etwas geschehen ist, ohne dass ich es explizit gezeigt habe und reflektieren darüber. Man darf nicht alles zeigen, manches muss im Verborgenen bleiben.

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