Neues Album von Andreas Spechtl: Eine gelungene Inventur
Der aus dem Burgenland stammende, über Wien nach Berlin emigrierte Musiker Andreas Spechtl geht seit der 2014 andauernden Auszeit von seiner Stammband Ja, Panik seinen Weg als Solokünstler weiter. Nach seinem zweiten Soloalbum „Thinking About Tomorrow, And How To Build It“, das er 2017 teils im Iran aufgenommen hat, ist das Grundgerüst für seine neue, kürzlich veröffentlichte Platte „Strategies“ in Mexiko entstanden.
„Ich war aus privaten Gründen ein halbes Jahr in Mexiko. Dort habe ich mit zwei Synthesizern und einem Computer herumexperimentiert. Mit vielen Skizzen in der Tasche bin ich dann nach Berlin zurück, habe die Songs im Studio umgesetzt und ausgearbeitet“, sagt Spechtl im KURIER-Interview.
Strategien
Auf „Strategies“ geht es, wie es der Titel bereits sagt, um Strategien – u. a. für eine bessere Zukunft: „Yes, we will change the world / Because we’ve done so / Many times before“, singt Spechtl zuversichtlich im ersten Stück „Openings“, das mit zärtlichen Piano- und Saxofonklängen gefällt.
Zu Beginn des Albums schaut sich Andreas Spechtl um, ermittelt den Status quo: Wo stehen wir, wo waren wir bereits und wo wollen wir hin? In den danach folgenden Minuten liefert er eine persönliche Standortbestimmung: Die Gitarre hat er längst zur Seite gestellt, von gefälligem Indierock will er nichts mehr wissen. Stattdessen dominieren analoge elektronische Sounds, die zwar an Kraftwerk erinnern, aber keineswegs massentauglich sind. Mit dem Umzug nach Berlin, in die seit Jahren angesagte Techno-Party-Hauptstadt der Welt, habe das aber wenig zu tun. Die Lust auf elektronische Musik war bereits bei dem letzten Album von Ja, Panik („Libertatia“) vorhanden. Die elektronisch-technoide Gangart ist dann aber zum Großteil den Konzerten zum Vorgängeralbum „Thinking about tomorrow“ geschuldet, das live von Spechtl viel rhythmischer und schwungvoller präsentiert wurde.
Wahnsinn
„Für mich ist die neue Platte eine Inventur von vielen Dingen, die ich in den vergangenen Jahren angefangen habe, die mich interessiert und beschäftigt haben. Einerseits. Andererseits geht es um Zukunft, uneingelöste Versprechen, um ein altmodisches Klassenbewusstsein, ein krankmachendes System.“
Und weiter: „Aber es geht nicht alles den Bach runter. Es passieren auch wundervolle, positive Dinge. Vieles wird besser. Zum Glück. Ansonsten würde man ja in einer wahnsinnigen Depression enden“, sagt Spechtl über die Gegenwart.
Diese beobachtet er mit kritischem Blick von Deutschland aus. Dort bekomme er natürlich mit, was in Österreich politisch gerade abgeht. „Ich wohne zwar in Berlin, aber ich bin auch immer wieder mal in Österreich. Es gibt eine sehr aktive Achse zwischen Berlin und Wien – politisch, künstlerisch und freundschaftlich.“ Er tauscht sich mit Freuden aus, denkt viel über die aktuelle Situation nach. Das sei herausfordernd, denn „die einfachen Antworten funktionieren nicht mehr“, sagt Spechtl.
Und was sieht man von Berlin aus, wenn man nach Österreich blickt? „Ich kenne kein Land, wo das subjektive Angstgefühl und das objektive Sicherheitsgefühl weiter auseinander liegen. Österreich ist eines der lebenswertesten, eines der reichsten und sichersten Länder der Welt. Aber im Endeffekt haben viele das Gefühl, dass sie im Wilden Westen oder in einem Vorort von Mexico City leben, weil ihnen das gewisse Medien und Politiker tagtäglich einreden. Die Leute glauben wirklich, dass sie in Gefahr sind“, analysiert Spechtl kopfschüttelnd.
Stimme
Auf „Strategie“ ist Andreas Spechtl wieder zu eher songorientierten Strukturen zurückgekehrt. Auch seine Stimme rückt wieder mehr in den Mittelpunkt. „Das neue Album ist ein Mittelding aus den ersten beiden, rein instrumental gehaltenen Soloalben und den enorm textlastigen Nummern bei Ja, Panik“, sagt der Musiker. Seine großteils in Englisch gehaltenen Lyrics werden weniger gesungen, sondern vielmehr gesprochen. „Die Texte sind kurz und prägnant gehalten. Ich wollte das, was mich die letzten zehn Jahre als Musiker und Mensch interessiert hat, noch einmal runterbrechen und mit kurzen Texten auf den Punkt bringen.“
Verhältnisse tanzen
Es geht um persönliche Grabenkämpfe, Verwerfungen, aber auch um faschistische und rechtspopulistische Tendenzen in Europa. Der Track „When We Were Young“ legt eine knisternde und rauschende Spur zu „Transit“, zum gleichnamigen antifaschistischen Roman , den Anna Seghers Anfang der 1940er-Jahre im Exil in Mexiko schrieb. Es ist der Hinweis auf unsere eigene Geschichte: Europa auf der Flucht vor den Nazis.
Musik und Text sprechen dabei oftmals eine andere Sprache. Auf der einen Seite geht es um sperrige Themen, auf der anderen sind die Beats durchaus tanzbar.
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