Neuer Turrini: Fragen statt Antworten

Neuer Turrini: Fragen statt Antworten
Die Uraufführung von Peter Turrinis großartigem Stück "Aus Liebe".

Das Wunderbare und gleichzeitig wohl auch Empörende an Peter Turrinis neuem Stück „Aus Liebe“: Hier werden keine Antworten gegeben. Ein Mann erschlägt Frau und Tochter. Warum? „Aus Liebe“, sagt er. Mehr erfahren wir nicht.

Das ist – in Zeiten, in denen Theater oft als dramatisierte psychotherapeutische Sitzung verstanden wird – eine Zumutung. Möglicherweise ist im Theater an der Josefstadt nach dem Schlussbild – der liebe Gott in Gestalt eines abgewrackten Straßenkünstlers versucht vergeblich, dem ermordeten Mädchen neues Leben einzuhauchen – der Applaus des Premierenpublikums so schwach, bevor es dann doch viele Bravos gibt.

Turrinis Text erinnert daran, was die eigentliche Aufgabe des Theaters ist: Fragen zu stellen. Nicht Antworten zu geben. (Wer hat schon Antworten? Denen, die behaupten, welche zu haben, sollte man nach Kräften misstrauen.)

37 Anläufe hat Turrini nach eigenen Angaben gebraucht, um – inspiriert von einem realen Fall – die endgültige Fassung zu finden. Die Mühe hat sich gelohnt: „Aus Liebe“ gehört zu den besten Stücken des Autors.

Turrinis neuer Stil ist lakonisch, skizzenhaft, das Ausgesparte steht gleichberechtigt neben dem Gesagten. Das Stück ist eine lose Folge von Kurzszenen und erinnert nicht nur dadurch an Ödön von Horváth: Wir sehen eine Seelenausstellung, eine Galerie von Verlorenen, die mit der Sprache ringen und in Wahrheit nur noch mit sich selbst sprechen: Polizisten, Huren, Verkäufer, Querulanten, Passanten. Ein Pärchen inszeniert U-Bahn-Sex, um endlich via YouTube berühmt zu werden. Eine verwahrloste Frau, der das Jugendamt ihre Kinder weggenommen hat, fantasiert sich eine Fernseh-Karriere herbei. Ein Baumarkt-Verkäufer, dem der Lohn gekürzt wurde, steht an der Donau und brüllt seine Verzweiflung in den Lärm vorbeifahrender Schleppverbände. Alle könnten sie zu Mördern werden, einer wird es.

Impressionen des Stückes

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Trauer

Die schönste Figur, die sich Turrini für dieses Stück ausgedacht hat, ist die Witwe, deren Trauer nicht kleiner werden will, und die in Erinnerung an ihren Mann fremden Herren in der Konditorei die Tortenstücke wegisst. Warum Marianne Nentwich diesen zarten Charakter derart hantig spielen muss oder darf, ist völlig unklar.

Damit sind wir bei der Inszenierung von Hausherr Herbert Föttinger. Im Einheitsbühnenbild von „Die Schichtarbeiter“ unterstreicht er die Skizzenhaftigkeit des Textes. Wie bei Marthaler sind die Figuren immer auf der Bühne anwesend. Die früher für Turrini so typische wuchernde Poesie und die pralle Komik werden nur angedeutet.

Einige Darsteller sind brillant und auf dem Punkt: Ulrich Reinthaller als stiller Mörder, Heribert Sasse als Polizist, Martin Zauner als Kriminalbeamter, Kurt Sobotka als lieber Gott zum Beispiel. In manchen Rollen wird aber noch eher schlampig gearbeitet. Noch mehr Präzision und Schärfe, und diese Inszenierung gewinnt wesentlich an Sogwirkung.

KURIER-Wertung: **** von *****

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