Genau das ist die Stärke von AC/DC: Dass sie sich so seltsamen neumodischen Ideen wie Veränderung, Weiterentwicklung und Anpassungsfähigkeit immer erfolgreich widersetzt haben. Viren kommen und gehen, US-Präsidenten kommen und gehen, selbst Gebirge werden irgendwann von Wind und Wetter abgetragen, nur AC/DC bleiben immer gleich.
Treue Fans der Band werden jetzt vielleicht einwenden, dass das so überhaupt nicht stimmt: Es gibt Menschen, die nach dem vierten Bier stundenlang über die feinen Nuancen referieren können, die „Flick Of The Switch“ von „Fly On The Wall“ unterscheiden, „Let There Be Rock“ von „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“, die „Back In Black“ so unschlagbar und „Powerage“ so reizvoll machen.
Frohes Schwarzmalen
Der am Formatradio geschulte Normalhörer wird dagegen einwerfen, dass jedes AC/DC-Lied exakt so klingt wie jedes andere. Und natürlich haben beide Seiten völlig Recht. AC/DC sind die Weltmeister darin, auf der Stelle tretend Marathon zu laufen, versteinert zu tanzen, beim Schwarzmalen die schönsten Farben sichtbar zu machen.
Dabei hatten selbst die kühnsten Optimisten nicht damit gerechnet, dass es weitergeht. Rhythmusgitarrist und Bandleader Malcolm Young erkrankte 2014 an Demenz und starb 2017. Sänger Brian Johnson (auch schon 73!) leidet an einem berufsbedingt lädierten Gehör. Bassist Cliff Williams fühlte sich pensionsreif. Und Schlagzeuger Phil Rudd kollidierte mit Drogen und dem australischen Strafgesetzbuch.
Dennoch fand sich die Band, vervollständigt durch Malcolms Neffe Stevie Young an der zweiten Gitarre, 2018/2019 im Studio ein, um ein neues Album aufzunehmen. Die Songs darauf basieren auf Skizzen, die noch gemeinsam mit Malcolm entwickelt wurden, erzählt Lead-Gitarrist Angus Young, 65, im Interview: „Malcolm meinte, die nehmen wir uns später vor. Aber so, wie sich die Dinge entwickelt haben, hatten wir nie die Chance dazu.“
Wie gut ist die Neue von AC/DC? Vielleicht ist diese Frage gar nicht so wichtig. Wichtig ist vielmehr: Dass es sie gibt. Tatsächlich ist sie ganz erstaunlich gut. Besser als das skizzenhafte „Rock Or Bust“ von 2014, besser als das ein wenig behäbige „Black Ice“ von 2008 (dabei waren das keine schlechten Platten!).
Das Album wird dominiert von mitreißenden, nah am Blues gebauten Gitarrenriffs, großen Akkorden, latent unheimlichen Gang-Chören, einem stoischen Schlagzeug und ungewöhnlich viel Melodie.
Da geht sich sogar ein Song wie „Through The Mists Of Time“ aus, der sich anhört, als hätten AC/DC versucht, die Beatles durch ein Nudelsieb zu pressen – man kann sogar dazu schmusen, wenn man unbedingt will!
Heilende Sturheit
Die Musik von AC/DC ist letztlich immer vertonte Durchhalteparole. Hier geht es um die heilende Kraft der Sturheit. AC/DC sagen, wenn sich das Leben wieder einmal deppert spielt: Schleich dich, du Oaschloch! Insofern ist AC/DC eine zutiefst wienerische Band: Aufreiben? Bluat speiben! Ned red mi an von der Seit'n! Und überhaupt: Wer lasst fragen? Bitte noch eins vom Fass!
Wir müssen dankbar sein, dass es diese Band noch gibt. Wenn die einmal aufhören: Wer gibt uns in schwachen Stunden des dringend benötigte Ohrenreiberl?
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