Ana de Armas verwandelt sich in dem packenden Netflix-Drama „Blonde“ (abrufbar ab 28. September) eindrucksvoll in das Sex-Symbol Marilyn Monroe: Die steile Karriere innerhalb der Filmindustrie erweist sich dabei als demütigende Abfolge von #MeToo-Vorfällen .
Der australische Regisseur Andrew Dominik, der sich mit Western wie „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ und eine Musikdoku über Nick Cave profiliert hat, basiert seine Monroe-Interpretation auf den Erfolgsroman von Joyce Carol Oates aus dem Jahr 1999. Er erzählt kein typisches Bio-Pic, sondern rekapituliert die Transformation von Norma Jeane Baker in den Superstar Marilyn Monroe aus deren rein subjektiver Sicht. Dazu wechselt er wiederholt das Leinwandformat, wie auch die Kolorierung seiner Bilder: Manche Szenen sind in Schwarz-weiß gedreht, andere in Farbe. Klassische Monroe-Posen wie das fliegende weiße Kleid über dem Luftschacht einer U-Bahn werden in einen stark von Traumata gesteuerten Erzählfluss eingebettet.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht rein zufällig: Bei einem Casting wird Marilyn Monroe von einem Studioboss vergewaltigt, der relativ unschwer als 20th-Century-Fox-Chef Darryl F. Zanuck zu erkennen ist. Die lange Tradition von sexuellem Missbrauch innerhalb der Filmindustrie – man denke an Harvey Weinstein – ist unübersehbar. Auch die in den Medien romantisierte Begegnung mit John F. Kennedy („Happy Birthday, Mr. President“) verkommt in „Blonde“ zu einer unappetitlichen Sexszene.
Das alles bestimmende Trauma im Leben von Norma Jeane Baker aber ist der Vater: Nie hat sie ihn kennengelernt, immer hat sie sich nach ihm gesehnt. Ihre Ehemänner – darunter Schriftsteller Arthur Miller – nennt sie „Daddy“ und wünscht sich nichts mehr als ein eigenes Kind. Eine Abtreibung, die sie ein Leben lang bereut, und mehrere Fehlgeburten treiben sie schließlich vollends in die Verzweiflung.
In Andrew Dominiks Lesart ist Monroe eindeutig Opfer – eines zerrütteten Elternhauses, einer zutiefst sexistischen Filmindustrie, eines patriarchalischen Gesellschaftssystems. Diese Deutung erscheint durchaus akkurat, reduziert aber das Bild von Marilyn Monroe zunehmend auf ein Häuflein Elend. Man hätte sich gewünscht, dass der Regisseur, ähnlich wie vielleicht Pablo Larraín in seiner Lesart von Prinzessin Diana in „Spencer“, für seine (fiktive) Figur einen Freiraum heraus geschaufelt hätte – jenseits der traumatischen Festschreibungen.
In einer Schlüsselszene von „Blonde“ versucht Monroes Mutter, ihr Kind in der Badewanne zu ertränken: Um sie vor Kummer im Leben zu schützen, wie sie behauptet.
Kindsmord ist auch das Thema von Alice Diops eindringlichem Drama „Saint Omer“, das ein weiteres Beispiel für Filme mit komplexen Frauenfiguren im Wettbewerb von Venedig liefert. „Saint Omer“ ist der erster Spielfilm der französischen Regisseurin und ein Gerichtssaaldrama, in dem eine junge Frau aus dem Senegal in Frankreich des Kindsmords angeklagt wird. Sie steht vor der Richterin und erzählt aus ihrem Leben, ihrer unglücklichen Beziehung zum Kindsvater und jenen Vorfällen, dir zur Tötung des Babys führten. Diop folgt ihren Ausführungen in langen, starren Einstellungen und legt, ohne zu moralisieren, ein vielschichtiges Beziehungsdrama frei: Heimatlosigkeit, Depression und (enttäuschte) Mutter-Tochter-Liebe verflechten sich zu einem melancholischen Frauenporträt.
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