Erstaunlich
Dass sich Netflix an die Verfilmung dieser Bücher wagt, ist in vielerlei Hinsicht ein irres Unterfangen. Man wäre eigentlich davon ausgegangen, dass sich eine literarische Auseinandersetzung mit der Unmöglichkeit, die Bahnen von drei Himmelskörpern, die einander gegenseitig beeinflussen, vorherzusagen, eher nicht für das Fernsehen eignet.
Es geht auch um so Abstraktes wie die Auflösung der bekannten Grenzen der Quantenphysik oder Formen der Unsterblichkeit (an einem Punkt im Buch fliegt ein Hirn durch das Weltall). Aber auch „Game Of Thrones“ war eigentlich unverfilmbar, und die Serienmacher David Benioff und DB Weiss haben es trotzdem getan (über das verbockte Finale schweigen wir an dieser Stelle). Darüber hinaus ist die Zeit der Megabudgets für Streamingserien eigentlich vorbei: Allerorten wird bei den Produktionen gespart und streng gerechnet. Dass hier nun doch wieder mal 160 Millionen Dollar ausgegeben werden, ist in jeder Hinsicht erstaunlich.
Chinesisches Kulturphänomen
Auch wegen der Herkunft des Autors und deren Niederschlag in der gesamten Trilogie: Dass große Teile (und besonders wichtige Momente) in China spielen, wäre vor gar nicht allzu langer Zeit noch als Quotengift verworfen worden. Aber Liu Cixins Bestseller-Weltentwurf ist dermaßen überzeugend und packend, dass all das keine Rolle zu spielen scheint. Und das ist gut so.
Er zeichnet auch ein beinhartes Bild von China, bei dem man sich wundert, dass das durchgegangen ist (es gibt von „Trisolaris“ übrigens bereits eine chinesische Verfilmung) : Zu Beginn wird die stumpfsinnige Brutalität der Kulturrevolution spürbar gemacht. Ein Wissenschaftler wird vorgeführt, weil er die „westliche Ideologie“ der Relativitätstheorie gelehrt hatte. Was natürlich Unsinn ist, aber hier tödlich: Der Wissenschaftler weigert sich, die Physik wegen der Politik zu verleugnen, und wird auf offener Bühne erschlagen.
Im johlenden Publikum: Seine verzweifelte Tochter Ye Wenjie (Zine Tseng). Ein Handlungsstrang – man kennt die Erzählweise: die Geschehnisse werden verschachtelt in unterschiedlichen Epochen vorangetrieben – folgt ihr ins Straflager, und dann in ein Observatorium, von wo aus die ganze gewaltige Story ihren eigentlichen Lauf nimmt.
In der Gegenwart wiederum trifft man junge Wissenschaftlerinnen und -er, die sich zu einem Begräbnis (man erinnert sich: Wissenschaftler, Countdown, Selbstmord) treffen. Die Stimmung ist auch über den traurigen Anlass hinaus getrübt: Denn die „Wissenschaft ist kaputt.
Alle Partikelbeschleuniger der Welt liefern seit einigen Wochen völlig sinnlose Resultate, es ist, wie einer der Truppe sagt, eine „Scheißzeit, Wissenschaftler zu sein“.
Wie sehr, das zeigt Auggie (Eiza González): Sie steht knapp vor einem entscheidenden Durchbruch in der Nanotechnologie – und hat plötzlich die flammenden Zahlen des Countdowns vor Augen. Die kann sie, wie ihr erklärt wird, verschwinden lassen, indem sie ihre Forschung beendet. Und damit sie auch wirklich glaubt, dass es Ernst ist, zwinkert ihr das ganze Universum zu.
In der Hypefalle
Wie, das sei an dieser Stelle nicht verraten – ebensowenig wie die weiteren Details, die die Drehbuchautoren von der Trilogie übrig ließen. Anfangs jedenfalls machen sie einen hervorragenden Job dabei, das Publikum in die komplexe Story hineinzuführen – und nicht mehr loszulassen. Es gibt eine sinistre Firma und einen ziemlich lustigen Ex-Cop, die irgendwie in das Ganze verwickelt sind, und einen goldenen Helm, der den Benutzer in ein Virtual-Reality-Game der besonderen Art transportiert.
Die erste Staffel (es gibt acht Folgen) verfilmt nur einen kleinen Teil des Riesenwerks, jenen, der noch vergleichsweise wenig abstrakt ist. Man kann nur mutmaßen, ob der wirklich harte Stoff folgt und Netflix weiter Geld dafür in die Hand nehmen wird.
Eines aber ist bereits klar: Wie sich die Erzählung rund um Streaming verändert hat. Denn „3 Body Problem“ wird im Hype sicher nicht an „Game Of Thrones“ heranreichen – unverdienter Weise. Das kann es auch gar nicht, denn diese Vergleiche sitzen einem Denkfehler auf: Man vergleicht da einen riesigen Gesamthype im Rückspiegel mit neuen Folgen einer neuen Serie. Da kann niemand gewinnen. Nein, „3 Body Problem“ ist nicht das neue „Game Of Thrones“, das geht gar nicht. Aber die Serie hat jede Aufmerksamkeit verdient.
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