Der Kritiker der Süddeutschen Zeitung war nach der Uraufführung von „Sex, Drugs & Budd’n’brooks“ 2021 in Hamburg ziemlich schlecht gelaunt. Er tat das, wie man heute sagt, „immersive“ Spektakel der Wiener Gruppe Nesterval rund um Martin Finnland im Bunker-Club Übel & Gefährlich von St. Pauli als „Anschauungsseminar für queeres Nachtleben“ ab. Der „sehr lange Abend des Mitmachzwangs“ sei letztlich doch nur ein schlagender Beweis dafür gewesen, „dass die Radikalthesen der Identitätsaktivisten den schleichenden Untergang der performativen Künste bedeuten“ würden.
Doch weit gefehlt! Die Adaption von Thomas Manns erstem Roman „Die Buddenbrooks“ über den Niedergang einer Lübecker Kaufmannsfamilie ist überbordend, witzig, betörend und berauschend – und pures, echtes Theater. Denn auch Dominas und Stricher spielen ja bloß Rollen. Sie verleihen „Sex, Drugs & Budd’n’brooks“, mitfinanziert von Brut, einen Hauch an Authentizität. Dass alles nur Spiel ist, ist von der ersten Prise Koks an klar. Sie riecht scharf nach Pfefferminz.
Bis Ende Mai ist die Produktion quasi am Originalschauplatz zu sehen – im Prater. Denn auf Nummer 34 hat die Familie Nesterval ab 1965 die Disco „Budd’n’brooks“ betrieben – oder besser gesagt einen Nachtclub mit Separees im ersten Stock. Die Geschichte rund um Jean, Bettsy, deren Kinder und Enkel (von Thomas Mann wurde bloß der zur Soap verdichtete Plot übernommen) bekommt man als Puzzlesteine dargeboten: nach Vorbild von Paulus Mankers Simultandrama „Alma – A Show Biz ans Ende“. Den äußeren Rahmen bildet die Versteigerung der Immobilie: Bei der Begehung in Gruppen – mitunter wird man auch allein „abgeschleppt“ – tauchen Szenen aus der Vergangenheit auf.
Dazwischen trifft man immer wieder im Ballsaal zusammen. Dort wird Hochzeit oder Neujahr gefeiert, dort stirbt man auch theatralisch.
Malerischer Schimmel
Und all das ist schon ewig her: Die von Andrea Konrad malerisch auf der Tafel drapierten Früchte sind vertrocknet, pelziger Schimmel überzieht die Rotweinreste – und lebende Würmer wuseln über die Schnitzelpanier. Man kommt aus dem Schauen und Staunen nicht heraus.
Der Untergang der Familie lässt sich aber nicht aufhalten, nur hinauszögern. Das wird er auch, leider um die Spur zu lang. Trotzdem: ein Highlight – auch dank der Mitwirkenden, darunter Alkis Vlassakakis (als Prinzipal), Gellert Gerson Butter (als Gattin), Martin Walanka (als Sohn Thomas), Romy Hrubeš (als naive Titten-Toni) und Astôn Matters (als überdrehte Drag-Queen Fledermaus).
Info: Die Vorstellungen sind praktisch ausverkauft. Aber am 26. Mai gibt es eine zusätzlicheBenefizvorstellung, für die Tickets ersteigert werden können. Alle Beteiligten verzichten an diesem Abend auf ihre Gage, die Einnahmen werden vollumfänglich an dieQueer Base in Wien gespendet. Man muss bis spätestensMontag, 23.05., um 12 Uhreine E-Mail anteam@nesterval.at schicken - mit der Anzahl Tickets, die man ersteigern möchte, und dem Betrag pro Ticket, den man zu zahlen bereit ist. Die Meistbietenden erhalten den Zuschlag und bekommen die Tickets nach Zahlungseingang per E-Mail zugestellt.
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